Cevdet und seine Soehne
dreinblickende Diener
kam wieder herein und stellte einen tablettgroßen Servierteller auf den Tisch.
Eine Frau stieß einen künstlichen Entzückensschrei aus, so künstlich
allerdings, dass alle lachen mussten. Beim Servieren entschuldigte sich Cemile
als Frau des Hauses für diese und jene Speise, die leider nicht gelungen sei,
worauf alle protestierten, wie herrlich das Essen, der Tischschmuck und
überhaupt alles sei.
Auf allgemeinen Wunsch hin musste
Ömer beim Essen vom Leben in den Bauarbeiterbaracken von Kemah erzählen. Manche
konnten sich nur wundern, wie es dort in den kalten Winternächten überhaupt
auszuhalten sei, und ein paar Gäste brachten zum Ausdruck, dass sie den jungen
Mann jetzt gleich noch viel mehr schätzten. Ein alter Herr wandte ein, man
brauche es aber auch nicht zu übertreiben, und im Krieg, in Sarıkamış, da sei
das doch noch etwas ganz anderes gewesen, und sogleich hob er auch an, davon zu
erzählen. Er sprach dabei dem Alkohol zu und verlor sich alsbald in Details,
doch bis auf einen jungen Burschen, der ihm an den Lippen hing, hörte bald
keiner mehr zu. Ein Scherzbold legte auf dem Grammophon den Izmir-Marsch auf.
Muhtar summte sofort mit, und ein paar andere taten es ihm gleich. Dann stieß
man lachend mit den Rakıgläsern
an. Auch die Mädchen waren nun gelöster und redeten unbefangen mit den jungen
Männern. Alkohol tranken sie keinen, aber sie erröten auch nicht bei diesen
Gesprächen. Wie alle anderen auch sahen sie immer wieder zu den beiden
Verlobten hin. Wenn Ömer solche Blicke auf sich spürte, fühlte er sich wieder
wie ein König, war allerdings beschämt bei dem Gedanken, dass er genau darauf
aus war, denn eigentlich geziemte sich das doch gar nicht, und wenn er sich
dann fragte, was wohl Muhittin dachte, kamen ihm so dunkle Gedanken, dass er
sich lieber in den Alkohol flüchtete.
Als der Marsch zu Ende war, wurde
die Rückseite der Platte aufgelegt, und als sie auch die zu Ende war, sagte
Nazli, sie wolle jetzt mal was richtig Schönes hören. Ömer erklärte, er werde
ihr bei der Auswahl helfen, und ging ihr nach. Das Grammophon stand in einer
Ecke des Salons. Nazli durchstöberte das Fach mit den Platten, und Ömer dachte
einfach nur: »Das ist meine Verlobte!« Obwohl die Ecke mit dem Grammophon vom
Tisch aus nicht einzusehen war, drehte Ömer sich erst einmal um, bevor er dann – selber unangenehm berührt über soviel Vorsicht – Nazli auf die Wange küsste
und dann fast erschrocken dachte: »Jetzt habe ich sie geküsst!«, als litte er
unter einer peinlichen Krankheit, die durch den Kuss nun auf das Mädchen
überging, und da merkte er verdutzt, dass er sich weder an diesem Tag noch auch
irgendwann später so richtig als König würde fühlen können. Nazli legte eine
Platte auf. Erst war nur ein Krächzen zu hören, dann ein schepperndes Klavier.
Die Leute merkten aber gar nichts davon und nahmen kaum etwas anderes wahr als
das Besteckgeklapper und das Dahinplätschern der Gespräche.
Ömer ging wieder zum Tisch zurück
und sah, dass Nazli ihm folgte. Dann fing plötzlich jemand zu klatschen an, ein
paar andere taten es ihm nach, und schließlich applaudierte der ganze Tisch.
»Was soll’s, ich bin eben so geworden!« dachte Ömer.
Nach dem Essen wurden neue Platten
aufgelegt, die jemand mitgebracht hatte. Da kam sogleich Bewegung in die jungen
Leute, sie riefen durcheinander, ein paar fingen an zu tanzen, und jedermann
sah ihnen zu. Die Mädchen, die nicht zum Tanzen aufgefordert wurden, und die Jungen, die zum
Auffordern zu schüchtern waren, zogen sich zum Plaudern und Scherzen zurück.
Die älteren Herrschaften wollten die Jugend unter sich lassen und tranken lieber
bei Tisch ihren Kaffee, nickten wohlwollend, wenn sie die ausgelassenen Rufe
der jungen Leute hörten, und erzählten sich gegenseitig ihr Leben. Ömer und
Nazli hielten sich mal hier, mal dort auf. Ömer lächelte jedermann zu,
verdrängte alle Gedanken und wollte nur den einen zulassen, dass er jetzt
verlobt war und das genießen musste.
Als dann die meisten Älteren vom
Tisch aufstanden, war es mit der Stimmung bald dahin. War von den jungen Leuten
zuvor noch jede neuaufgelegte Platte mit freudigen Scherzen begrüßt worden,
verstummte nun das Grammophon ganz. Schließlich verabschiedeten sich die ersten
Gäste unter nochmaligen Glückwünschen für das Verlobungspaar, und dann brachen
auch gleich alle restlichen Besucher auf. Muhtar geleitete sie gähnend zur Tür.
Cemile
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