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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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Getue. »An gar nichts denke ich!«
sagte er etwas brüsk.
    Nigân rief ihre Enkel zu sich, die
dann auch gleich von ihrer Mutter zum Mittagsschlaf geschickt wurden. Nigân
küsste die beiden vorher noch innig, und sie hätten sich wohl auch von ihrem
Großvater küssen lassen, aber da er so gedankenverloren dasaß, trauten sie sich
nicht zu ihm hin.
    »Rauch sie doch wenigstens nicht
ganz herunter!« ermahnte Nigân ihren Gatten. Auf seinen mürrischen Blick hin
sagte sie beschwichtigend: »Jetzt legst du dich dann hin, ja?«
    »Nein, ich schlafe heute nicht, ich
werde arbeiten!«
    »Wie du meinst!«
    Cevdet dachte: »Und ob!« Eigentlich
hätte er ja am liebsten doch geschlafen, aber aus Ärger über die Bemutterung
durch seine Frau hatte er ihr widersprochen. »Jetzt kann ich nicht einmal schlafen!«
dachte er. »Zu spät, es ist mir nun mal herausgerutscht. Na ja, gehe ich eben
im Garten herum, damit ich etwas munterer werde. Danach gehe ich hoch und
arbeite.«
    Seit zwei Monaten schrieb Cevdet an
seinen Erinnerungen. Dass es keinen Sinn mehr hatte, in die Firma zu gehen,
hatte er mittlerweile eingesehen. Entscheidungen waren stets ohne ihn getroffen
worden; um Ratschläge, die seinem Stolz noch schmeichelten, war er immer
seltener gebeten worden, und wenn er von sich aus welche gegeben hatte, war er
nur als Klotz am Bein empfunden worden. Nachdem Osman schließlich sogar die
Kontrolle über seine persönlichen Ausgaben übernommen hatte, hatte Cevdet
erklärt, er werde von nun an zu Hause arbeiten, und damit bei jedermann nur
Zufriedenheit ausgelöst. Alle hatten sogleich gesagt, das sei ja auch das beste
für seine Gesundheit. Nigân hatte sich gefreut, dass ihr Mann nun nicht mehr
mit Geschäftssorgen belastet war und nicht mehr die sechs Stockwerke in dem
fahrstuhllosen Bürohaus hinaufzusteigen hatte, sondern vielmehr den ganzen Tag
an ihrer Seite sein würde. »Das bin ich allerdings nicht, sondern ich arbeite!«
dachte Cevdet. »Ich arbeite, ich schreibe meine Erinnerungen nieder, und ich
vermittle den nachfolgenden Generationen meine Geschäftserfahrung!« Innerlich
erregt stand er auf. Um den Blicken der auf den Korbstühlen Sitzenden zu
entkommen, ging er weiter in den Garten hinein.
    Einige der Blumen, deren Samen er
sich vom Ägyptischen Basar hatte bringen lassen, waren schon aufgeblüht. Unter
der Linde, in die schon einiges hineingeschnitzt war, blieb er stehen und sah
zu der Kastanie zurück. Als er das Haus damals erstanden hatte, war der Garten
nur bis hierher gegangen; den Rest hatte er nach der Wiedereinführung der
Konstitution hinzugekauft. »Wie die Zeit vergeht! Ich war noch ganz anders
damals … Und Nigân noch so jung. Wir hatten ein neues Haus, neue Sachen, und
auch im Kopf so viel Neues!« Dann fiel ihm aber ein: »Nur war da noch dieser
Junge im Haus, dieser Ziya! Aber der wollte dann selber weg in die
Militärschule, ja, das war seine Entscheidung! Na ja, wenigstens hat er sich
eine Weile schon nicht mehr blicken lassen!« Cevdet langte an der hinteren
Gartenmauer an, vor der sich, von Unkraut umgeben, Holzklötze, leere
Blumentöpfe und Blechbüchsen häuften. »Dieser Kerl hat den Garten doch nie in
Schuss bekommen! Mit seinem Vater habe ich ihn damals zum erstenmal gesehen,
und später dann habe ich ihn unterstützt, damit er seinen Laden aufmachen
konnte. Grüßen tut er mich immer noch, aber um den Garten kümmert er sich
nicht. Wie hieß er noch mal?« Er ging an einer der Seitenmauern wieder zurück,
murmelte echtes und erfundenes lateinisches Zeug vor sich hin, um sich
abzulenken, und plötzlich fiel ihm wie aus heiterem Himmel ein Kinderlied ein.
An einer Stelle roch es nach Geißblatt. »Tante Zeynep! Wer war das? Irgendeine
Frau! Kirschenmarmelade … Zeliha!« Er sah auf die Uhr: Viertel nach zwei. Er
hatte es nun aufgegeben, immer sechs Stunden hinzuzurechnen, um die alte Zeit
zu erhalten. »Schade, dass ich jetzt nicht schlafen kann! Aber ich habe es nun
mal gesagt! Und ein Cevdet steht zu seinem Wort! Das ist noch immer so! Dabei
würde ich so schön träumen können!« Unbemerkt von den anderen ging er an der
Mauer entlang in den vorderen Teil des Gartens. Die Seitenwand des Hauses war
von der Sonne beschienen. Es war dies der ruhigste, windstillste Ort des ganzen
Gartens. Auf dem Mülleimer neben der Küche saß eine Katze, die sich
davonmachte, als sie Cevdet erblickte. »Lauf doch nicht weg, was soll ich dir
schon tun? Meinst du etwa, ich bin noch so schnell?« Er

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