Cevdet und seine Soehne
entschuldigte sich wieder wortreich für etwaige Unzulänglichkeiten. An
der Tür kam bei einigen noch einmal Rührung auf, und die Verlobten wurden mit
letzten augenzwinkernden Mahnungen bedacht.
Schließlich waren alle draußen, und
Muhtar atmete auf. »Gott sei Dank!«
»Aber es war doch schön, nicht
wahr?« sagte Cemile.
»Es war wunderbar, Tantchen!«
versicherte ihr Nazli und wandte sich dann Perihan zu.
Schließlich schickten sich auch
Refık und Perihan zum Gehen an. Muhtar warf einen besorgten Blick auf
Perihans dicken Bauch. Muhittin sah er mit unverhohlenem Missbehagen an, aber
auch Ömer traf ein zweifelnder Blick.
Ömer sagte betont liebenswürdig zu
Muhtar: »Wir gehen jetzt auch, wenn Sie nichts dagegen haben. Wir werden bei
Refık noch ein bisschen zusammensitzen!«
»Wieso das denn? Das könnt ihr doch
auch hier?« rief der Abgeordnete aus, aber seine verschlafenen Augen sprachen
eine andere Sprache.
Ömer küsste zuerst dem Abgeordneten
und dann Cemile die Hand, weil ihm plötzlich so war, als gehöre sich das. Der
Abgeordnete umarmte Ömer daraufhin gerührt. Dann küsste er seine Tochter wie
ein Vater, dem diese Geste längst zur lieben Gewohnheit geworden ist.
»Morgen kommst du doch, ja?« sagte
er zu Ömer. »Ich muss nämlich dann gleich wieder nach Ankara zurück und möchte
dich noch sehen, bevor du wieder auf die Baustelle fährst.«
»Selbstverständlich komme ich!« Ömer
sah Nazli an. Am liebsten hätte er sich unbeobachtet von ihr verabschiedet, als
Zeichen, dass sich zwischen ihnen schon eine Art Vertrauensverhältnis
entwickelt hatte, aber das war nun nicht möglich. So sahen sie sich einfach
grüßend an. Ömer fürchtete, er könne Nazlıs langes grünes Kleid plötzlich
lächerlich finden. Aber er fürchtete sich ja auch, seinen Ehrgeiz einzubüßen,
ein Familienmensch zu werden und sich mit dem täglichen Einerlei zu begnügen.
Von Ayazpaşa bis Taksim gingen
sie zu Fuß. Muhittin marschierte vorneweg, sorgsam um sich spähend. Refık
und Perihan gingen Arm in Arm. Ömer, ein paar Schritte hinter ihnen, sah mal zu
dem untergehakten Paar, mal zum weiten nachtblauen Himmel empor. Auf halber
Anhöhe kamen sie unter den gerade aufgeblühten Bäumen vorbei, die den Himmel
verdunkelten. »Bin ich wirklich noch ehrgeizig? Habe ich von meiner
Leidenschaft nicht schon etwas verloren?«
Diese Frage stellte er Muhittin, als
sie in dem leeren Salon in Nişantaşı saßen und Perihan nach oben
gegangen war.
»Darüber habe ich heute auch schon
nachgedacht«, erwiderte Muhittin. » Und ich finde, dass du eben nicht mehr so ehrgeizig
bist. Vor einem Jahr, bevor du nach Kemah bist, warst du noch ein ganz anderer
Mensch!«
»Ach ja! Und woran merkst du das?«
»Was weiß ich, woran man so etwas
merkt. An deiner Verlobung vielleicht, an deiner ganzen Art …«
»0 nein, du täuschst dich!« rief
Ömer laut. »Ich bin sogar noch ehrgeiziger als früher! Und zwar so sehr, dass
ich im Gegensatz zu früher mit meinem Ehrgeiz nicht mehr prahle, sondern ihn
eher verstecke, weil er so enorm geworden ist! Also irrst du dich gewaltig!«
»Ich glaube nicht, dass ich mich
irre«, erwiderte Muhittin betont gleichgültig.
»Und doch ist es so! Weißt du
eigentlich, wieviel Geld ich in diesem einen Jahr verdient habe?
Vierzigtausend! Sogar noch mehr. Und im kommenden Jahr werde ich das Doppelte
verdienen. Ich habe mich mit zwei jungen Ingenieuren zusammengetan, die gerade
ihr Diplom gemacht haben. Wir werden neue –«
»Über was redet ihr da?« fragte
Refık, der inzwischen den Samowar geholt hatte und ihn nun anmachen
wollte.
»Er erzählt wieder mal, wie
ehrgeizig er ist!« sagte Muhittin.
»Jawohl! Und danach werde ich
Muhittin noch was fragen, und zwar ob er immer noch vorhat, sich mit dreißig
umzubringen!«
»Wartet, ich komme ja gleich!« rief
Refık. »Ich hole nur schnell die Teetassen!« Er freute sich, dass wieder
einmal genau die richtige Stimmung aufkam.
»Du wirst es schon noch sehen!«
sagte Muhittin. »Wenn ich bis dahin kein guter Dichter bin, dann tue ich das
auch, du wirst es noch erleben!«
»Du tust es nicht!« rief Ömer. »Ich kenne
dich gut genug. Du wirst versuchen, Zeit zu schinden, unter irgendeinem
Vorwand. Zum Beispiel, dass in der Türkei der Wert eines Menschen immer erst
spät erkannt wird. Oder dass man wegen ein, zwei Jahren Verzögerung doch keine
Torheit begehen darf!«
»Jetzt wartet doch, ich komme ja
gleich, dann können wir reden!« Refık rannte
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