Champagner-Fonds
Flugsteig.
Pascal Bellier erwartete sie in Reims am Bahnhof. Der junge Kriminalbeamte brannte vor Eifer, und er glaubte ihnen. Seinen Wunsch, sich vor seinen älteren und weniger risikobereiten Kollegen hervortun zu können, vielleicht sogar einen großen Fall zu lösen, versteckte er nur mangelhaft. Als Philipp ihn am Steuer beobachtete und ihm zuhörte, dachte er an das, was er eben im Flugzeug in einem Bordmagazin über Polopferde gelesen hatte. Wenn sie neu auf dem Spielfeld waren, fürchteten sie den Zusammenprall mit anderen Pferden noch nicht. Wenn sie das Spiel kannten und Erfahrung gesammelt hatten, fürchteten sie den Schmerz und wichen aus. Dann war es Zeit, sie gegen Jüngere auszuwechseln. Und es gab noch die weise Regel, dass ein alter Affe seine Hand nicht in ein dunkles Astloch steckte – es könnte eine Schlange drin liegen. Sie stammte, soweit Philipp wusste, aus Brasilien.
Philipp wunderte sich, dass Bellier ohne Begleiter gekommen war. Normalerweise traten Kriminalbeamte zu zweit auf, schon aus Gründen der Sicherheit. Bellier erzählte, wie er mit Hilfe eines Freundes bei der Pariser Polizei anhand von Passagierlisten herausgefunden hatte, dass in dem fraglichen Zeitraum ein gewisser Melvin Russel zusammen mit einer Maria Aparecida Russel Goveia, wahrscheinlichseiner Ehefrau, einen Flug nach Rio de Janeiro angetreten hatte. Von einem Rückflug der beiden nach Großbritannien war nichts bekannt. Allerdings war ein Graham Goodhouse sechs Monate später von Rio de Janeiro nach Brüssel geflogen.
»Das heißt, dass beide nach Rio geflogen sind«, schloss Philipp, »aber nur einer ist zurückgekehrt. Wo ist der andere?«
»Wenn auch Russel als Anlageberater erfolgreich gewesen war, hat er Geld. Brasilien ist billig, und er macht sich an der Copacabana ein schönes Leben – wenn er schlau ist.« Der Polizist grinste anzüglich.
»Ich habe eine ganz andere Idee«, meinte Thomas, als sie an der Abzweigung nach Villers-Allerand vorbeifuhren. »Sie scheint mir gleichzeitig ziemlich absurd zu sein. Wäre es nicht denkbar, dass jeweils der eine die Identität des anderen angenommen hat?«
»Denkbar ist alles, das haben wir auf der Polizeischule gelernt«, sagte Bellier, »es gibt keinen Gedanken, der dem Menschen zu abwegig ist. Wir müssen dann auch fragen, weshalb sie das tun sollten.«
»Ich habe keine Ahnung«, meinte Thomas etwas kleinlaut. »Es ist mir nur eben so eingefallen. Sie haben einfach nur getauscht.«
Philipp schwieg. Er fand den Gedanken gar nicht so abwegig, aber seine etwas andere Schlussfolgerung behielt er für sich. War es möglich, dass Melvin Russel für Goodhouse hier die Geschäfte führte und sie in seinem Sinne nutzte? Dann müssten sie den wahren Goodhouse auftreiben. Oder war der lange nicht so sauber, wie alle glaubten?
»Eine Frage an Sie, junger Mann.« Damit war Pascal Bellier gemeint. »Von Mister Goodhouse hat man bei einer Reise in die USA die Fingerabdrücke genommen, wie wir in London erfuhren. Wenn wir die von Goodhouse kriegen, könnten Sie sie mit denen aus San Francisco vergleichen?Ich meine, wo Sie doch schon rausgekriegt haben, wann die beiden geflogen sind. Das stellt für jemanden mit Ihren Fähigkeiten bestimmt kein Problem dar.«
Der Kripobeamte fühlte sich geschmeichelt, aber er sah dazu keine Möglichkeit. »Das dürfen wir nur mittels einer offiziellen Anfrage. Und dazu bedarf es einer offiziellen Untersuchung.«
»Ist Ihre Untersuchung denn nicht offiziell? Ich möchte Ihnen nicht zu nahetreten. Vielleicht sind Ihnen die entsprechenden Wege der Amtshilfe noch nicht so vertraut. Sie können gar nichts machen?« Philipp bemerkte, wie Bellier anbiss und sich bemühte, den Gleichgültigen zu spielen.
Vor dem Hotel setzte er sie ab, und sie verabredeten sich für Donnerstag in der Frühe. An der Rezeption lag das Fax mit dem Besuchsprogramm. Sogar den Speiseplan hatte Helena angefügt. Am Abend würde ein Begrüßungschampagner gereicht und in der Folge des sechsgängigen Menüs würde es Hummer und Atlantik-Steinbutt geben. Welcher Gastgeber setzt etwas, das bei ihm zu Allergien führt, auf den Plan seines Empfangsmenüs? Oder bekam Goodhouse den Kinderteller? In ihrem Fach steckte ein weiterer Zettel. Yves bat dringend um Rückruf, auch wenn sie erst spät abends zurückkämen.
Philipp war fertig, er war todmüde, er wusste kaum noch, wo ihm der Kopf stand und wie er das, was darin herumschwappte, sortieren sollte. Er war es nicht gewohnt,
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