Champagner-Fonds
sei nichts weiter als eine Verkettung von Zufällen. Andere glaubten, dass einem nur das zufiel, was einem zustand. Einer dritten Theorie nach regierte die Vorsehung, oder irgendwelche Götter hatten alles längst vorbestimmt: Es stand im Buch des Lebens. Wenn das zutraf,hatte man sowieso keine Chance und blieb am besten im Bett.
Dafür entschied sich Philipp am Nachmittag und holte den versäumten Schlaf nach. Er hasste es, unausgeschlafen zu sein. Es wirkte sich auf seine Laune und auf seine Kreativität aus und auf seine Reaktion – genau die aber war gefragt.
Am Abend fuhren sie nach Reims, um Dr. Anlahr abzuholen. Philipp war sehr erleichtert, dass er gekommen war und auch die Zeitungen mitgebracht hatte, um die Philipp gebeten hatte. Sofort suchte er nach den Anzeigen. Ja, sie waren da. Für das, was hier geschehen sollte, war die Frankfurter Allgemeine die wichtigste. Dass Philipp ziemlich nervös war, entging dem Staatsanwalt nicht, und er musterte ihn befremdet.
Dr. Anlahr wirkte zu jung für seinen Beruf, unerfahren, wie Thomas später meinte. War das der Grund, weshalb er sich überhaupt auf das Abenteuer eingelassen hatte, ähnlich wie Bellier?
Sein Gesicht war faltenlos, der Schädel wegen des allzu früh einsetzenden Haarausfalls rasiert. Er trug einen dunklen Anzug mit Fliege und hatte seinen Sommermantel über den Arm gelegt.
»In Köln hat es geregnet.« Nachdem er die Reisetasche in den Kofferraum gelegt und das französische Nummernschild mit hochgezogenen Augenbrauen bemerkt hatte, als sei es ein krimineller Akt, setzte er sich selbstbewusst auf den Beifahrersitz. Thomas fuhr, trotz bandagierter Hand.
»Ich habe mir Urlaub genommen. Betrachten Sie mich lediglich als Beobachter. Ich greife nicht ein, das darf ich in Frankreich nicht, außer es gäbe ein Amtshilfegesuch. Betrachten wir das Ganze als eine Art von inoffiziellem Lokaltermin. In schwierigen Zeiten bleibt die Moral auf der Strecke, und das gefällt mir nicht. Würde ich mich nach Vorschrift verhalten, so müsste ich unseren Behörden jetztmitteilen, wo Sie, Herr Achenbach, sich aufhalten, aber wenn man einen Haftbefehl ausstellen würde ...«
Dr. Anlahr stockte mitten im Satz, er wusste nicht weiter und war sich gleichzeitig der Lächerlichkeit seiner Worte bewusst. »Es gibt gar keinen Grund dafür, Sie festzunehmen, niemand hat Derartiges erwogen, außer man würde Fluchtgefahr unterstellen.«
»Hat France-Import die Anzeigen gegen meinen Vater zurückgezogen? Herr Langer hat uns eine entsprechende Nachricht zukommen lassen«, ergänzte Thomas.
»Nein, davon weiß ich nichts, leider, Herr ... Achenbach.«
Also hat Langer wieder gelogen, dachte Philipp. Um ihn in Sicherheit zu wiegen und nach Köln zu locken?
Sie fuhren langsam durch den lauen Abend, es war einer der ersten mit richtig gutem Wetter. Als sie auf das Plateau der Montagne de Reims zufuhren und an die Weingärten gelangten, wechselte Philipp das Thema. Er erzählte, dass die Champagne einst zu den ärmsten Gebieten Frankreichs gehört hatte, vor dem Champagner. Zum einen waren die Erträge in der Landwirtschaft wegen des schlechten Bodens gering, zum anderen war es kalt. Das Wetter spielte auch heute noch eine entscheidende Rolle, die Fröste zum Zeitpunkt des Austriebs zerstörten die Knospen der Reben. Bordeaux hatte vierhundert Sonnenstunden mehr pro Jahr.
»Aber wenn es hier so wäre wie dort, dann wäre der Champagner nicht das, was er ist.« Es war die Einleitung, um dem Staatsanwalt den Gedanken des Terroirs nahezubringen.
»Der poröse Kalkstein und die Kreide geben dem Champagner seinen sehr speziellen Geschmack, natürlich bezogen auf die Eigenschaften der jeweiligen Rebsorte. Sie werden es heute Abend sehen, wir werden einige Flaschen probieren.« Philipp hoffte, den Staatsanwalt damit noch ein wenig mehr auf seine Seite ziehen zu können.
»Kreide ist auch als Wasserreservoir wichtig, sie wirkt wieein Schwamm. Und Sie sehen es.« Philipp wies nach rechts und links. »Die Weingärten liegen immer an den Hängen, zwischen der Oberkante des Plateaus und dem Beginn der Ebene und den Flusstälern. Je steiler das Gefälle, desto intensiver wird die Sonneneinstrahlung. Das hier war Meeresboden, der sich vor zwanzig Millionen Jahren gehoben und gesenkt hat. Und jede Parzelle ist ein wenig anders. Der Winzer, der das versteht, versucht es in seinen Champagner zu bringen.«
»Hmm.« Der Staatsanwalt seufzte. »Wie lange braucht man, um das
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