Champagner-Fonds
vertreiben. Im Grunde war er ignorant, sowohl dem Koch gegenüber wie auch diesem Haus und sich selbst. Aber was ihn wirklich bewegte, waren andere Fragen:
Wenn dieser vorhin erwähnte Michel Muller ein Deutscher war, dann hieß er sicher Michael Müller. Wieso beschäftigte ein Franzose einen deutschen Assistenten?
In welchem Stadium wurde der Champagner vom Fonds erworben? Direkt nach dem Abfüllen? Ganz sicher war sich Philipp nicht. Er wusste, dass manche Champagner bei langer Lagerung durchaus besser wurden, bei denen war deshalbsogar das Datum des Degorgierens auf dem Etikett erwähnt. Er hatte vor einigen Jahren mal ein derartiges Gewächs probiert, aber die Erinnerung daran war verblasst. Als er beim Kaffee weiter in den Regen starrte, erinnerte er sich, dass jemand in diesem Zusammenhang von Bruno Paillard und von sehr reifen Weinen gesprochen hatte.
Kurz entschlossen ließ er sich von den Kollegen in Köln die Telefonnummer heraussuchen und rief dann bei Paillard an, um sich direkt bei ihm zu informieren. Man hatte Zeit, ihn zu empfangen, ein anderer Termin war ausgefallen. Eine Champagnerprobe war auf jeden Fall ein gutes Programm. Die Kellerei war nicht weit von hier.
An der Rezeption des Restaurants wollte sich Philipp nach dem Weg erkundigen, die Empfangsdame, mit dem Telefonhörer am Ohr, bedeutete ihm, einen Moment zu warten.
» Naturellement , Monsieur Touraine
«, sagte sie und sah Philipp dabei an,
» pour trois personnes, comme toujours. Oui, ce soir, d’accord . Au revoir, Monsieur. «
Ein Monsieur Touraine ließ für den heutigen Abend hier für drei Personen einen Tisch reservieren? War dieser Name so häufig?
Philipp schaute auf die Uhrzeit der Reservierung in dem aufgeschlagenen Buch der Empfangsdame. Den Namen Touraine trug sie für zwanzig Uhr ein. Das passte. Dann hätte auch er Zeit, er würde herkommen und sich diesen Gast ansehen. Möglicherweise war er ja der, der sich ihm verweigerte. Welchen Grund mochte es geben, ihn nicht zu treffen? Oder ging es um einen ganz anderen Touraine?
Mit hochgeschlagenem Kragen lief Philipp zum Wagen. Der Regen ließ nach, und er bemerkte, dass der Fahrer des Motorrades, der sich unter der Markise der Boulangerie gegenüber untergestellt hatte, sich ebenfalls zur Weiterfahrt rüstete. Sähen diese Leute in ihren mit Abzeichen beklebten Lederkombis nicht alle gleich aus, hätte Philipp vermutet, dass es derselbe Fahrer wie vorhin war. Und der Helm verbargden gesamten Kopf. Trotz der schlechten Sicht bemerkte Philipp, dass der Motorradfahrer dieselbe Richtung nahm wie er. Er hielt gleichmäßig Abstand. Es musste bei dem heftigen Regen eine elende Fahrerei sein.
Die Nationalstraße folgte dem Ausläufer der Montagne de Reims hinab ins Tal der Marne. An anderen Tagen war Reims längst zu sehen, doch im Regen verschwammen Weinberg, Himmel, Dörfer und die Stadt der Königskrönungen zu einem schmierigen Grau. Der Regen tat der Weinblüte nicht gut.
Reims war noch immer außer Sicht, als sich rechts und links der Straße die übliche Vorstadtarchitektur der Möbelhäuser, Outlets und Gartencenter aus dem Regen schälte. Das Motorrad blieb hinter ihm, obwohl es auf der inzwischen zweispurigen Schnellstraße längst hätte überholen können. Er fuhr langsam, um die Kellerei auf der Avenue de Champagne nicht zu verpassen. Verfolgte ihn jemand – seit der Kellerei in Villers-Allerand? Was für ein Unsinn, doch als er langsamer fuhr, stellte der Motorradfahrer sich darauf ein. Als er schneller wurde, geschah dasselbe. Ohne zu blinken, bog Philipp in eine Tankstelleneinfahrt – das Motorrad fuhr vorbei – erleichtert stellte er fest, dass es sich nicht um einen Verfolger handelte. Aber als er weiterfuhr, war die Maschine wieder da.
Gegenüber tauchte die gesuchte Kellerei auf. Philipp fuhr bis zum nächsten Kreisverkehr und in entgegengesetzter Richtung zurück. Das Motorrad blieb an ihm dran. Also war es doch ein Verfolger, und den interessierte anscheinend wenig, ob er entdeckt wurde. Als Philipp seinen Wagen auf dem Parkplatz der Kellerei abstellte und durch den Regen zur Straße lief, war vom Motorrad nichts mehr zu sehen. War die Verfolgung doch Einbildung? Verunsichert setzte er sich wieder in den Wagen. Zufälle gab es nicht. Jedes Ereignis stand mit allen anderen in Verbindung, aus dem einen ergab sich das andere, manches war Voraussetzung, damitwieder anderes zum Resultat wurde. Der Mann, den er treffen wollte, hatte angeblich keine Zeit
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