Champagner-Fonds
und ging am Abend essen, und jemand, den er nicht kannte, hängte sich sozusagen an ihn.
Mehrere Fragen gingen ihm durch den Sinn: Galt die Verfolgung wirklich ihm? Zweifellos, die Umrundung des Kreisverkehrs hatte jeden Zweifel beseitigt. Wer saß da auf dem Motorrad und mit welcher Absicht? War der Geschäftsführer der Kellerei Villers-Allerand nach seinem Besuch dort misstrauisch geworden und vermutete, dass dieser ganz anderen Zwecken gedient hatte? Hatte er die Geschäftsleitung der Kellerei aufgeschreckt?
»Monsieur?«
Neben seinem Wagen wartete eine junge Frau mit einem Regenschirm und begleitete ihn zum Empfang. Der Verkaufsleiter sprach ausgezeichnet Deutsch, doch kaum hatten sie ihren Rundgang begonnen, erschien der Inhaber Paillard und übernahm selbst die Führung.
Paillard verkörperte für Philipp den Typ des modernen, aufgeklärten französischen Geschäftsmanns mit Klassenbewusstsein. Sie waren gleich groß, da ließ sich auf Augenhöhe miteinander sprechen. Dabei war er aufmerksam und unprätentiös, zeigte beste Manieren, ohne jedes neureiche Gehabe, war sprachgewandt und gebildet. Er machte den Eindruck, dass er ein modernes Unternehmen zu führen imstande war – nicht brachial, sondern mit Geschick, und er kannte sein Terrain und die Regeln, nach denen dort gespielt wurde. Wie viel er von der Materie verstand, vielmehr von prickelnden Flüssigkeiten, und wie gut sein Geschmack war, zeigte sich, als sie im Konferenzraum mehrere Flaschen älterer Jahrgänge vor sich hatten. Das Thema des Champagner-Fonds wollte Philipp nicht ansprechen, er wusste zu wenig, um die richtigen Fragen zu stellen, und er fürchtete, irgendwelche Pferde scheu zu machen.
Paillard war ein Mann, den Philipp weder zum Gegnernoch als Chef hatte haben wollen; als Verbündeter wäre er ihm lieber. Yves hingegen, der Philosoph, war ein Freund. Hätte Paillard Langers Ideen vertreten, hätte Philipp sich wahrscheinlich darauf eingelassen, der Franzose wusste zu überzeugen. Ihm traute er den Erfolg zu. Aber Paillard hätte Philipp nie die Freiheit gelassen, die er bei France-Import genoss.
Für das Unternehmen stimmte der Begriff »Kellerei« nicht mehr, denn Keller gab es nicht. »Neue Keller zu graben wäre bei der Neugründung des Unternehmens an dieser Stelle auch viel zu teuer geworden«, erklärte Paillard. »Die heutige Technik der Wärmedämmung hingegen erlaubt uns auch die überirdische Produktion von Champagner.«
Man müsste sich die Energiebilanz ansehen, dachte Philipp.
Das Unternehmen gehörte zur Gruppe der
Négociants-Manipulants,
jener Champagnerhäuser, die vom Anbau der Trauben über die Lese bis zur Verarbeitung und den Verkauf alle Arbeitsschritte bestimmte. Paillard hätte gern mehr als nur vierundzwanzig Hektar besessen, doch weil trotz des exorbitanten Preises niemand Land verkaufte, kaufte er Trauben hinzu.
Beim Bau der Kellerei hatte es keinerlei Beschränkungen in Bezug auf moderne Technik gegeben. Nirgends störten Wände, enge Kreidegänge fehlten, dafür sorgten Kühlaggregate für die nötige Temperatur und die Luftfeuchtigkeit. Die Qualität des Champagners war nicht abhängig von der Tiefe der Keller. Hier lagerte er, bis unter die Decke gestapelt, in Drahtkörben, die modernen Gärtanks ragten genauso hoch hinauf. Computer hatten die Steuerung der Gärung übernommen. Mit wenigen Handgriffen ließen sich die Tanks über Rohrleitungen füllen oder leeren. Romantisch waren hier nur noch die wenigen Barriques mit Reserveweinen zwischen all dem Edelstahl in den Gängen und die Magnumflaschen, kopfüber in Rüttelpulte gesteckt. Sie vermitteltenden Eindruck, dass man es noch mit Wein zu tun hatte.
Das Ausgangsmaterial – die Weintrauben – gelangte gar nicht bis hierher, sondern nur der in den Presszentren abgepresste Most. Was war wichtig? Für die Illusion oder für die Qualität des Endprodukts? Lebte Champagner nicht von der Illusion, vom schönen Schaum?
Hier wurde im Jahr eine halbe Million Flaschen gefüllt. Wenn man davon ausging, wie Paillard meinte, dass die Flaschen mindestens drei Jahre liegen mussten, dann waren hier anderthalb Millionen Flaschen gestapelt. Man hätte sie bereits nach fünfzehn Monaten verkaufen können. Drei Jahre Lagerung galten laut Vorschrift nur für den Millésime. Wie lange sie tatsächlich aufbewahrt wurden, bevor die Hefe entfernt wurde, hing davon ab, ob frischere oder ausgereiftere Aromen bevorzugt wurden, und das war die Entscheidung des
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