Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Champagner-Fonds

Champagner-Fonds

Titel: Champagner-Fonds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Grote
Vom Netzwerk:
Kenner, vielleicht für die Bar vom Hotel Adlon in Berlin, aber nichts für den Pascha Nightclub in Köln.
    Bereits die Farbe, ein tiefes Gold, zeigte das Alter. Da war sogar ein Hauch von Marzipan, ein wenig Vanille undNelke, die Erinnerung an einen im Barrique ausgebauten Weißwein, voller Eleganz und Komplexität, ohne jede Aufdringlichkeit, wie sie im Eichenfass vergorene Weißweine manchmal zeigten. Das war der Unterschied zwischen einer eleganten Dame und einer zu laut lachenden Frau. Zu derartigen Vergleichen verstieg Philipp sich ungern, aber so war es, die Kunden wollen die Mädchen, dachte er, weil sie sich leichter beeindrucken lassen. Für die Dame muss man sich Zeit nehmen – und wenn man es tut, wird man wirklich belohnt. Er dachte an Helena – sie tendierte mehr zur Dame, hatte sich aber etwas von einem Mädchen bewahrt.
    Philipp und Bruno Paillard probierten und plauderten über die Zeit und das Leben, über das des Champagners, über seine Zeit der Früchte, die Zeit der Blüten, gefolgt von jener der Gewürze, denn nach dem Degorgieren war ein Champagner nicht fertig, er lebte weiter. Dem folgte die Zeit des Toasts, der Konfitüre, und es endete in der Zeit der Vollkommenheit. Sie sprachen darüber, wie die Zeit, die sich nicht zähmen ließ, sie einschränkte, über die Geschwindigkeit, die von anderen vorgegeben wurde, und die fehlende Muße. Zu vieles musste getan werden, statt dass man es tun wollte. Und Philipp brachte das Gespräch wieder auf eine Frage, die ihn bewegte – das Wachstum.
    Paillard verabscheute es, wie er meinte. »Ästhetik interessiert mich mehr als Größe.« Da waren sie sich einig. Ausdruck dieser Haltung waren Aufträge an internationale Künstler gewesen, für die Millésimes die Etiketten zu gestalten. Die Themen gab der jeweilige Blanc de Blancs vor, wie Tiefe, zu der ein Italiener gearbeitet hatte, oder Gleichgewicht und Vollkommenheit, was der Franzose Roland Roure mit einem tanzenden Paar auf dem Etikett ausgedrückt hatte.
    Beim Hinausgehen, alle Mitarbeiter hatten die Firma längst verlassen, sprach Paillard eine Einladung zum Abendessen ins »Le Jardin« im Park des Château Les Crayères aus.
    »Wenn Sie bis halb neun warten können, begleite ich Sie mit dem größten Vergnügen.« Philipp hatte in Montchenot dringend etwas zu erledigen. »Wie lange fährt man von dort aus zu diesem ›Le Jardin‹?«
    »Eine gute halbe Stunde. Wollen Sie unbedingt vorher dorthin?«
    »Es muss sein.«
    Paillard lächelte. »Weshalb haben Sie mich vorhin gefragt, was Zeit für mich bedeutet?«
    »Weil ich im Moment wahrscheinlich genauso wenig davon habe wie Sie.«
     
    Die Dame an der Rezeption des »Grand Cerf« war eine andere als am Mittag. Das enthob Philipp seiner ersten Sorge, wiedererkannt zu werden. Die zweite Sorge bestand darin, einen glaubwürdigen Grund für seine Nachfrage nach Touraine vorzubringen.
    »Ich möchte für Donnerstag einen Tisch bestellen.«
    »Für wie viele Personen und für welche Uhrzeit?« Die Frau schlug im Buch für Reservierungen das heutige Datum auf.
    Der Name Touraine war abgehakt. »Für einundzwanzig Uhr, bitte.«
    Als die Dame vom Weiterblättern abgelenkt war, griff er eine Visitenkarte des Restaurants, hielt sein Mobiltelefon als Entschuldigung in die Höhe und entfernte sich zum Ausgang hin. Die Frau verstand. Dann wählte er die Nummer des »Grand Cerf«. Die Frau griff zum Telefon, es war ein altes Modell ohne Display, so konnte sie seine Nummer nicht sehen. Philipp kam plötzlich auf den Einfall, sich auf Englisch zu melden. Er heiße Gruber, rufe aus London an und wisse, dass Mister Touraine heute hier sei, er würde sie bitten, ihn ans Telefon zu holen. Die Frau bat um einen Moment Geduld.
    Von seinem Standort sah Philipp sie ins Restaurant hineingehenund nach einer Weile mit einem Mann um die Vierzig zurückkommen, sie reichte ihm den Hörer.
    Touraine meldete sich mit einem knappen »Oui?«, Philipp wartete kurz, bis er nachfragte, tat so, als sei die Verbindung gestört, und als Touraine sich im Licht drehte, drückte er die rote Taste.
    Philipp stand im Schatten des Eingangs hinter der Glastür, sodass Touraine ihn nicht sehen konnte. Philipp schmunzelte. Ihm fiel der Text aus Brechts ›Dreigroschenoper‹ ein von jenen, die im Licht standen, und er summte die Melodie vor sich hin. Vielleicht stand Touraine gar nicht im Licht, vielleicht stand er ja im Dunkel?
    Er war ein nichtssagender Typ, ein Mensch wie tausend andere,

Weitere Kostenlose Bücher