Champagner-Fonds
zum Albtraum.
Um nicht auf den Wagen zu prallen, riss der Motorradfahrer den Lenker herum, wollte zwischen Wagen und Waldrand hindurch, geriet auf den Seitenstreifen, schleuderte, die Maschine kippte, und der Fahrer überschlug sich mehrmals in grotesken Bewegungen, bis ihn Büsche auffingen. Regungslos blieb er im Gras liegen.
Philipp brach der Schweiß aus. Das war so nicht geplant. Oder hatte er es unbewusst doch beabsichtigt? Das fragte er sich, als er seiner eigenen Kälte und einem Gefühl von Befriedigung gewahr wurde. So gezielt hatte er noch nie einem Menschen geschadet.
Er setzte den Wagen zurück in die Einfahrt, stieg aus und sah sich um. Er war allein, Zeugen gab es nicht, dann alarmierte er den Winzer. Der sollte den Krankenwagen rufen, denn Philipp musste sich aus der Sache heraushalten.
Monsieur Bérèche erinnerte sich gleich an ihn, und zusammen liefen sie zu dem leblosen Fahrer im Straßengraben. Er rührte sich nicht, aber ihm zu helfen war zu riskant, die Wirbelsäule konnte verletzt sein. Als der Winzer das Visier des Helms nach oben schob, erstarrte Philipp – er blickte in das Gesicht einer jungen Frau.
»Glücklicherweise hat sie nicht viel abbekommen«, sagte der Notarzt nach der ersten Untersuchung. Die Frau lag bereits auf der Trage. »Eine Gehirnerschütterung, dazu vielleicht ein Beinbruch und etliche Prellungen, die Büsche haben Schlimmeres verhindert. Was glauben Sie, was wir an verunglückten Motorradfahrern zu sehen bekommen. Sie hat wirklich Glück gehabt.«
Philipp und Bérèche zogen sich zurück, um sich keine weiteren Schauergeschichten anhören zu müssen. Philipp dachte daran, dass er einen Moment lang überlegt hatte, einfach wegzufahren, aber es nicht über sich gebracht hatte. Jetzt, wo er wusste, dass ihn eine Frau verfolgt hatte, wuchs sein Entsetzen über das, was er angerichtet hatte. Gleichzeitig war er erleichtert, dass nicht mehr passiert war. Wäre er seines Lebens jemals froh geworden, wenn ...? Aber er hatte diese Wahnsinnige gewarnt. Trieb er die Perfidie nicht auf die Spitze, wenn er sich als Zeuge über den Hergang des Unfalls zur Verfügung stellte?
»Ich habe gesehen, wie sie in Schräglage durch die Kurve heraufkam, wie beim Motorradrennen, ich kam von dort.« Philipp wies in die entgegengesetzte Richtung.
»Waren Sie zu schnell?«, fragte der Gendarm und studierte Philipps Führerschein.
»Nein, ich kenne diese Straße und halte mich immer an die Geschwindigkeitsbegrenzung.«
»Wieso sprechen Sie so gut Französisch?«
»Weil ich hier mit Winzern arbeite. Ich suche nach Champagner, den wir in Deutschland vertreiben.« Monsieur Bérèche bestätigte seine Worte.
»Hätten Sie was gegen einen Alkoholtest einzuwenden?« Die scharf gestellte Frage ließ nur ein »Nein« zu.
Wie gut, dass er an diesem Tag nicht einen Tropfen zu sich genommen und die Verkostung bei Louise Dillon-Lescure auf morgen verschoben hatte. Der Test ergab 0,0 Promille. Allem Anschein nach ärgerte sich der Gendarm darüber.
Der Arbeiter, den er suchte, saß am Abend tatsächlich in der einzigen Kneipe von Ludes. Er hatte auch beim Kartenspiel mit den Männern, die mit am Tisch rechts der Bar saßen, die Schiebermütze nicht abgesetzt. Philipp beobachtete ihn von draußen durch die große Glasscheibe mit der vergilbten Gardine. Vor zweien stand ein Glas mit der gelblich-weißen Flüssigkeit des verdünnten Anisschnapses mit dem üblichen Wasserkrug daneben.
Vor der Eingangstür stand eine große Schiefertafel, gekrönt von der Abbildung eines Schweinekopfes (wieso grinste das Tier, wenn es doch geschlachtet war?), darunter das Menü des Tages. Philipp verspürte Lust auf einfache Kost, es musste nicht immer das Edelste und Feinste sein: ... an Schaum, ... auf einem Bett aus ..., im Mantel von ... – das langweilte ihn. Heute mal keine Haute Cuisine und keinen Champagner – nur einfachen, ehrlichen Landwein. Und genau den gab es hier. Die Wirtin kochte, ihr Mann bediente und zapfte das Bier, und in der Küche arbeitete sich ein Schwarzer aus einer ehemaligen französischen Kolonie als Tellerwäscher zum Millionär hoch.
Das Lokal teilte sich in den vorderen Teil mit Bar und Tischen für die Kartenspieler und in einen abgeteilten Raum mit holzgetäfelten Wänden, wo mehrere Tische mit rotweiß kariertem Tischtuch fürs Abendessen eingedeckt waren.
Vorerst blieb Philipp an die Bar gelehnt stehen, nippte an seinem bis zum Rand gefüllten Glas und
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