Champagner-Fonds
Angebot von France-Import aufnehmen«, (er hatte wieder »unser Angebot« sagen wollen), »aber Yves produziert so wenig, das rechnet sich nicht für uns. Da nehme ich ihn lieber nur für mich.«
»Er hat Sie zu mir geschickt, weil bei mir mehr zu holen ist?«
Philipp nickte nur.
»Ich verhandle sehr hart, Monsieur.«
»Davon bin ich überzeugt«, sagte Philipp, ohne nachzudenken.
Sie schnappte kurz nach Luft, und beide merkten, dass ihnen die doppelsinnigen Andeutungen gefielen.
»Dann werde ich Ihnen wohl einiges zeigen müssen«, sagte Madame und blitzte Philipp böse an, weil sie merkte, dass er immer noch nicht an den Champagner dachte, den sie meinte. Sie verschaffte sich eine Atempause, indem sie zurück zu den Arbeitern ans Band ging. Eine halbe Stunde später lief es wieder.
Die Auffahrt vor der Freitreppe des Châteaus war in der Zeit angelegt worden, als Besuch noch mit dem Zweispänner eintraf. Für einen Vierspänner hätte es nicht gereicht, um die Pferde in einer Kehre wieder zu dem von Säulen flankierten Tor hinauslenken. Für Autos war allemal genug Platz, sie parkten vor den Seitenflügeln, die bis an die Straße mitten durch Moussy heranreichten. Philipp stand oben neben Madame Louise auf der Freitreppe, er blickte auf die Weinberge des Gutes, die jenseits der Straße sanft anstiegen und auf dem Kamm des Hügels an einem Wäldchen endeten.
Das Château, es war mehr ein Herrensitz als ein Schlösschen, stammte aus dem 18. Jahrhundert, gebaut in der Zeit Ludwig XV., und wirkte beileibe nicht wie ein Prunkbau. Die Stufen der Treppe zeigten Risse, die sie flankierenden Blumenkübel wiesen Sprünge auf, was sie für Philipps Geschmack umso liebenswerter machte. Die Patina der Zeit lag auf allem, auch die Fassade wirkte nicht geleckt, und die hohen Fenster der Belle Étage mit den Flügeltüren waren noch nicht der Wärmedämmung anheimgefallen. Deshalb wurde dieser Gebäudeteil im Winter nur bei großen Festivitäten beheizt, zu denen die mit silbernen Leuchtern, Kommoden,Spiegeln, Louis-VX.-Tischen und Stühlen möblierten Räume vermietet wurden.
»Vor siebzig Jahren allerdings hatten wir hier Gäste, die überhaupt nicht bezahlt haben.«
Philipp war klar, dass sie die Truppen der Wehrmacht meinte. »War es schlimm?«
»Nicht so sehr. Bis auf den Umstand, dass sie uns etwa hunderttausend Flaschen Champagner gestohlen haben und sich hier mietfrei einquartiert haben, sogar ihre Kommandantur war bei uns untergebracht, haben sie es uns nicht allzu schwer gemacht. Und auch abgesehen davon, dass mein Großvater vier Jahre in Deutschland in Gefangenschaft war. Aber er hatte Glück, er war Winzer, da haben sie ihn als Zwangsarbeiter in den Weinberg geschickt. Seine Arbeitgeber waren glücklicherweise Menschen und keine Nazis. Doch das ist lange her, da waren wir beide noch gar nicht geboren, nicht wahr?« Sie lächelte schon wieder wunderbar. »Ressentiments pflegen nur die Dummen, die davon leben, und solche, die sie für ihr verkümmertes Ego brauchen.«
»Ist er heil nach Hause gekommen?«
»Wer?«
»Ihr Großvater natürlich.«
»Ja, doch – als Erstes hat er die Mauer eingerissen.«
Jetzt war es Philipp, der den Zusammenhang nicht verstand. »Welche ...« Für ihn gab es nur eine, und die hatte in Berlin gestanden.
»Na, die Mauer, hinter der er unsere besten Champagnerflaschen eingemauert hatte. Als die Deutschen angriffen, hat er erkannt, dass sie nicht aufzuhalten waren. Er wusste, dass der damalige Außenminister Ribbentrop den Champagner liebte, schließlich war er in Deutschland Vertreter für Pommery und Mumm, und da ahnte mein Großvater, was auf uns zukam. So, jetzt kommt der übliche Rundgang auf Sie zu. Ihre wievielte Kellereibesichtigung ist es? Wie lange üben Sie diesen Beruf aus?«
»Zehn Jahre – aber ich habe vorher schon ...«
»Etwa fünfzig pro Jahr, das wären fünfhundert ...«
»Mit Ihnen ist es natürlich ganz was anderes.«
»Das will ich hoffen.« Louise sah Philipp an, als wüsste sie nicht, wie er es aufgefasst hatte.
»Mir würde die Champagne besser gefallen, wenn das Wetter besser wäre.« Sie beendeten den Rundgang durch die Kellerei in der Halle mit der Abfüllanlage. Das Degorgieren verlief ohne Störungen. »Wir sind Frankreichs nördlichstes Weinbaugebiet, haben die wenigsten Sonnenstunden, ziemlich viel Regen, und dann müssen die Spritzmaschinen wieder raus, leider zu oft. Das kostet Geld, es braucht Arbeitskräfte und
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