CHAMSA - 5 Tage bis zur Ewigkeit (German Edition)
Wedeln der Palmen hingen lange Doldenrispen honigsüßer Datteln, auf die
sich ein Schwarm Wildvögel mit fröhlichem Zwitschern stürzte. An den weißen
niedrigen Steinhäusern schmiegte sich wilder Jasmin, dazwischen wuchsen duftende
gelbe Büsche neben niedrigen Dornakazien.
Auf den
dahinterliegenden grünen Feldern döste eine Herde Ziegen satt vor sich hin. Es
hing eine drückende Schwüle in der Luft und über allem lag eine dünne rote
Sandschicht des Chamsins. Der aus der Wüste kommende heiße und trockene
Chamsinwind wehte in einem 50tägigen Zeitraum durchschnittlich für drei bis vier
Tage. Dieses Jahr hatte der Wind am 29. April begonnen und sollte heute, am 18.
Juni, ihrem Geburtstag, enden. Es war nicht ihr biologischer Geburtstag. Den
feierte sie schon lange nicht mehr. Nein, heute jährte sich zum drittenmal der
Tag, an dem sie ihr neues Herz bekommen hatte – Hakims Herz.
Langsam blickte sich
Hannah im Klassenzimmer um. An der grünen Tafel hatte sie die morgige
Hausaufgabe für die Kinder geschrieben. In hebräischer und in arabischer
Schrift. Im letzten Jahr hatte sie ihre Lehramtsprüfung mit Auszeichnung
bestanden und auch ihr Studium der arabischen Sprache abgeschlossen. Seitdem
unterrichtete sie die unteren Klassen, bis zum 8. Lebensjahr. Der Wind begann
jetzt heftiger zu werden, schnell lief Hannah zur klappenden Terrassentür und
verschloss sie fest. Danach nahm sie ihre Aktentasche und verließ das
Klassenzimmer. Auf dem Weg über den kleinen Schulhof zerrte der Wind in ihren
Locken. Sie blieb stehen, kramte in ihrer Jeans nach einem Gummiband und
bändigte ihre Haare zu einem Pferdeschwanz.
Dabei hörte sie zu
ihrer Überraschung ein kräftiges Fluchen. Neugierig ging sie zu dem wilden
Jasminbüschen und schob die Zweige auseinander. Auf der Rasenfläche des
Spielplatzes entdeckte sie drei Kinder. Sie spielten das uralte Spiel Katta
al Wizza – über die Gans springen. Der siebenjährige Ali saß vor dem
gleichaltrigen Hassan am Boden. Ihre ausgestreckten Arme und Beine berührten
sich zu einer Linie. In diesem Moment nahm die kleine Sarah Anlauf und versuchte
über sie zu hüpfen. Doch die Jungs hatten den Schwierigkeitsgrad des Spieles
erhöht, indem sie die Arme mit gespreizten Fingern etwas höher hoben.
Laut Regel durften die
am Boden sitzenden Kinder beim Sprung nicht umfallen oder berührt werden, denn
dann hatte der Springer verloren, in diesem Fall war das Sarah, die erneut einen
kräftiger Fluch vor sich hinmurmelte. »Hallo Kinder«, rief Hannah und ging auf
sie zu. »Schalom, Sarah, du sollst doch nicht fluchen«, schalt sie
sanft.
»Aber ich habe doch auf
Arabisch geschimpft, das versteht mein Gott nicht«, erklärte sie mit der Logik
ihrer sieben Jahre und warf sich jauchzend in ihre Arme. Hannah unterdrückte ein
Schmunzeln. »So«, erwiderte sie ernst, »und du meinst, wenn du es nicht in
deiner eigenen Sprache sagst, dann hört der Himmel es nicht?«
Ein hoffnungsvolles
Nicken war die Antwort. »Da muss ich dich leider enttäuschen, mein Schatz. Der
Himmel und die Sterne verstehen jede Sprache. Aber einmal abgesehen von Gott,
ich bin mir sicher, dass es Hassan und Ali auch nicht schön finden, wenn du
ihren Propheten verfluchst.«
»Der Himmel versteht
alles?«
»Ja, alles«, nickte
Hannah ernsthaft und sah, wie es hinter der Stirn der Kleinen arbeitete. »Upps,
dann muss ich mich schnell bei allen entschuldigen.«
Mit einem energischen
Griff befreite sie sich aus Hannahs Umarmung, lief auf die Jungen zu und drückte
jedem einen sabbernden Kuss auf die Wange. Anschließend sah sie zum Himmel hoch,
faltete ihre kleinen Händchen und murmelte: »Hashem, lieber Gott. Ja Allah! Es
tut mir so leid, dass ich geflucht habe. Ich werde mich bemühen, es nicht wieder
zu tun. Aber bitte – wer immer mich jetzt dort oben hört – bitte, bitte, lass
mich das nächste Spiel gewinnen. Toda und Schukran!« Hannah unterdrückte ein
Lachen und ging langsam weiter.
Ohne Hast schlenderte
sie an den weißen Wohnhäusern und dem jüdischen Supermarkt vorbei, der Tür an
Tür mit einem arabischen Metzger lag. Nebenan sah sie in dem Schaufenster der
koptischen Bäckerei ein Tablett mit Kahks liegen. Die gezuckerten, mit kleinen
Kreuzen verzierten Kekse, die sie so liebte. Die Sonne ging langsam unter und
der jetzt kühler werdende Wind brachte eine angenehme Abkühlung der heißen
Wüstenluft. Langsam schlenderte sie durch
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