CHAMSA - 5 Tage bis zur Ewigkeit (German Edition)
Ein Aasim besitzt die Gabe, dass
seine Seele auch außerhalb seines menschlichen Körpers existieren kann. Sie
haben die Fähigkeit, innerhalb Sekunden ihre menschliche Gestalt zu wechseln und
sich zu verwandeln. Hast du den weißen Wüstenfalken bemerkt, der dich seit
Wochen begleitet hat?« Zu erstaunt etwas zu sagen, nickte Hannah nur stumm mit
dem Kopf. Das wortlose Nicken Hannas ließ Wahida traurig auflächeln.
»So begibt sich ein
Aasim-Mann auf die Suche nach seiner verlorenen Dualseele, um sich wieder mit
ihr zu vereinigen, denn einem erstgeborenen Aasim ist es strengstens untersagt,
sich an eine normale Frau zu binden. Laut den heiligen Gesetzen darf er sich
einzig mit seiner Dualseele vereinigen. Wenn er sie gefunden hat, ist seine
Liebe bedingungslos mit dieser Frau verflochten und er stellt sein eigenes
weltliches Dasein zurück und tut alles zu ihrem Schutz. Bedingungslos bereit,
sein Leben für das ihre zu opfern. Diese heilige, uralte Gabe besitzen nur die
erstgeborenen Söhne der Shaheens. Sie wird in einer ununterbrochenen Kette von
einer Generation an die nächste weitergegeben, vom Vater auf den Sohn
übertragen.«
Durch die Nebelwand
ihrer Betäubungsmittel drangen Wahidas Worte nur langsam und zeitversetzt in
Hannahs Kopf. Zeitgleich bemühte sie sich um eine gleichmäßige Atmung, aus
Angst, dass der Monitor ihren rapide klopfenden Herzschlag wahrnehmen und mit
seinem schrillen Piepsen die Nachtschwester ins Zimmer stürmen lassen würde. Sie
war sich nicht sicher, ob sie das alles nur träumte.
Auch fühlte sie sich in
ihrem Zustand nicht wirklich in der Lage, den Sinn dieser rätselhaften
Geschichte herauszufinden. Ziemlich verwundert wandte sie Wahida ihr Gesicht zu
und registrierte deren angespannte, gequälte Haltung, bevor ihre letzten Worte
durch das Krankenzimmer hallten. »Der Name meines Ehemannes lautet Ilyas. Mein
Mann ist der oberste Hüter der Aasim – und Hakims Vater.«
Hannah wurde
leichenblass. Geschockt starrte sie Wahida an. »Was…, was willst du mir damit
sagen?« fragte sie erstickt. Die dunklen Augen funkelten im silbrigen Mondlicht,
als Wahida zart ihre Hand an Hannahs Wange schmiegte. »Ich bin gekommen, um dir
zu sagen, dass es Hakims innigster Wunsch war, dir sein Herz zu schenken. Seine
Sorge galt allein dir.« Das Blut begann in ihren Ohren zu rauschen und die Watte
in ihrem Kopf drohte sie wieder einzulullen. Verzweifelt kämpfte Hannah dagegen
an, bis sie den Sinn dieser Worte erfasste.
Dann zog ein
unbarmherziger Schmerz ihre Eingeweide zusammen und ihre Lippen begannen
unkontrolliert zu beben. »Hakim … Mein Hakim war der anonyme
Organspender? Er ist tot und sein Herz schlägt in meiner Brust …?« flüsterte sie
tonlos – fassungslos. Mit einer wilden Verzweiflung schüttelte sie den Kopf,
doch der verlorene Ausdruck in Wahidas traurigen Augen war Antwort genug.
»Hannah, bitte«, flehte
Wahida mit erstickter Stimme. »Ich bin gekommen, um dir zu helfen, das alles zu
verstehen. Denn diese fünf Tage mit Hakim sind in Wirklichkeit niemals passiert.
Mein Sohn hat die metaphysische Kraft seiner Seele benutzt, um dich an seinem
Leben teilhaben zu lassen. Doch in Wahrheit, in der Realität, seid ihr euch
niemals begegnet.« Um Fassung bemüht sprach sie beschwörend weiter. »Meine
geliebte Tochter, die Art, wie wir Menschen die Zukunft wahrnehmen, ist eine
Illusion. Jeder empfindet das auf seine eigene Art.«
»Nein!« schrie Hannah
auf. Verzweifelt kämpfte sie gegen die Schwerelosigkeit ihres Körpers. Mit
zusammengebissenen Zähnen legte sie ihre schlaffe Hand auf Wahidas Arm und
begegnete schwer atmend ihrem Blick. »Nein«, wiederholte sie. »Das ist nicht
wahr. Du irrst dich. Hakim war leibhaftig bei mir. Vor meiner Operation haben
wir fünf Tage zusammen verbracht … Ich … Wir haben uns geliebt. Hakim hat mir
vom Friedensdorf erzählt … Er hat mich geküsst«, schluchzte sie heiser und
schüttelte immer wieder den Kopf. »Das war nicht nur ein Traum …«
Tränenüberströmt sah
sie Hakims Mutter an, die sichtlich um Fassung bemüht war. Nach einem tiefen
Durchatmen war sie in der Lage zu antworten, diesmal klangen ihre Worte nicht
ganz so fest.
»Doch, Hannah, er war
nur ein Traum. Hakim hat dich damit mit seinem Leben vertraut gemacht, weil er
wollte, dass du die Chance auf ein neues Leben und auf eine Zukunft hast. Er
wollte damit erreichen, dass du seine Welt; sein Herz, seine
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