Charles Dickens
Liebesgeschichte)
ging ihm nicht so leicht von der Hand wie die früheren Weihnachtserzählungen, und er dachte zeitweilig daran, sie ganz aufzugeben. Doch die Nachricht, dass die ersten Lieferungen von
Dombey und Sohn
sich viel besser verkauften als der vorangegangene Roman, beflügelte ihn so sehr, dass er auch das Weihnachtsbuch früher als erwartet, nämlich schon am 18. Oktober, an den Verlag abschicken konnte. Neben diesen kommerziellen Arbeiten hatte er bereits im Frühsommer ein Buch für seine Kinder begonnen, das nicht zur Veröffentlichung bestimmt war. Darin beschreibt er in leicht fasslicher Sprache das Leben Jesu, wobei er das Hauptgewicht auf die ethische Botschaft legt. Das Manuskript, aus dem er seinen Kindern vorlas, hatte zunächst den Titel
The Children’s New Testament (Das Neue Testament für Kinder)
und wurde erst lange nach seinem Tode im Jahr 1934, zuerst in Zeitungen und danach in Buchform, unter dem Titel
The Life of Our Lord (Das Leben unseres Herrn)
veröffentlicht.
Nach Abschluss der Weihnachtserzählung ging Dickens mit seiner Familie zunächst nach Genf, wo kurz vorher eine Revolution stattgefunden hatte, deren Kanonendonner er in Lausanne gehört hatte. Den Anstoß zu den Unruhen gab die geplante Ausweisung der Jesuiten aus der Schweiz. Dickens sympathisierte natürlich mit der protestantischen Seite und äußerte in einem Brief an Forster seine antikatholischen Gefühle sehr viel drastischer, als er dies in seinem Italienbuch getan hatte. Der religiöse Konflikt war zugleich ein innenpolitischer zwischen dem konservativen Lager und den radikalen freiheitsdurstigen Bürgern, die in Genf die verkrustete Oligarchie hinwegfegten. Da diese Revolution mit Schweizer Präzision ablief und nur wenig Blutvergießen und keine nennenswerte Zerstörung mit sich brachte, konnte Dickens Forster gegenüber seine uneingeschränkte Sympathie für die Radikalen bekunden.
Von Genf reiste er schon nach wenigen Tagen weiter nach Paris, wo die Familie am 20. November ankam und einige Zeit im Hotel Brightonverbrachte, bevor sie eine Mietwohnung des Marquis de Castellan bezog. Bei diesem zweiten Aufenthalt in der französischen Metropole besuchte Dickens – wie es ihm seit seiner Amerikareise bei jedem Aufenthalt in einer fremden Stadt zur Gewohnheit geworden war – soziale Einrichtungen wie Hospitäler, Gefängnisse und in diesem Fall die Morgue, das Leichenschauhaus, das ihn auch bei späteren Besuchen in der Stadt unwiderstehlich anzog. Viel Zeit verbrachte er außerdem in den zahlreichen Theatern, in die er seinen elfjährigen Sohn Charley mitnahm, um dessen Französisch zu verbessern. In Paris kam er mit einigen der prominentesten Geistesgrößen Frankreichs zusammen. Darunter befanden sich der 78-jährige Chateaubriand, die Dichter Lamartine und Gautier, der Komödienschreiber und Librettist Eugene Scribe, die populären Romanciers Alexandre Dumas und Eugene Sue und der große Victor Hugo, in dessen sozialkritischen Werken er eigentlich eine Geistesverwandtschaft hätte spüren müssen. Doch in seinen Briefen sucht man vergebens nach Äußerungen über den französischen Kollegen. Statt dessen findet man detaillierte Theaterkommentare, in denen er sich unter anderem über die kuriose Aussprache englischer Namen aus dem Mund französischer Schauspieler lustig macht. Man gewinnt den Eindruck, dass er ganz bewusst vermied, über die Kunst anderer Erzähler nachzudenken, um nicht vom Pfad seiner eigenen «Unnachahmlichkeit» abgebracht zu werden. Kritische Kommentare gibt er allerdings über die Franzosen generell ab, die er als faul, unzuverlässig, handwerklich ungeschickt und genauso individualistisch wie die Amerikaner empfindet, nur ohne deren Zielstrebigkeit.
Am 15. Dezember machte er sich zu einem Kurzbesuch nach London auf, um dort den Proben für die Dramatisierung von
The Battle of Life
beizuwohnen. Das Schauspielerehepaar Keeley hatte von ihm für 100 Pfund die Aufführungsrechte erworben und den Autor Albert Smith mit der Abfassung eines Textbuchs betraut. Die Aufführung war ein großer Erfolg und verstärkte die Nachfrage nach dem am 19. Dezember erscheinenden Weihnachtsbuch so sehr, dass bereits am ersten Tag 23.000 Exemplare verkauft wurden. Wilkie Collins gegenüber sagte Dickens, dass ihm das Buch 4000 Guineeen, d.h. 4200 Pfund, eingebracht habe. Das ließ ihn die lauwarmen bis schlechten Kritiken verschmerzen. Am 24. Dezember war er wieder in Paris. Während die Familie hier
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