Charlotte
befahl den Hunden barsch, still zu sein. Sie jaulten leise protestierend. Der Mann war groß und sehnig. Er trug eine ausgebeulte Hose und ein kariertes Hemd, das halb offen stand und den Blick auf alte Haut, graues Brusthaar und hervorstehende Schlüsselbeine freigab.
»Herr Brasma.«
»Stimmt.«
»Sprechen Sie Niederländisch?«, fragte Nel.
Er starrte Nel an, mit denselben Basedowaugen wie Leonoor. »Noch ein kleines bisschen.« Seine Muttersprache hatte inzwischen einen starken deutschen Akzent angenommen.
Wir stellten uns vor. »Wir wollten zu Ihrer Tochter Leonoor. Ist sie zu Hause?«
»In welcher Angelegenheit?«
»Ich habe ein Schreiben für sie, vom Rechtsanwalt«, sagte ich. »Es ist ziemlich dringend.«
Der alte Mann kniff die Augen halb zusammen. »Ein Brief oder eine … äh …« Er suchte nach dem richtigen Wort. »Eine Vorladung?«
»Nein, keine Vorladung. Ein positives Schreiben.« Ich zog den Umschlag aus meinem Urlaubsjacket aus Leinen. »Es hat natürlich mit dem Mädchen zu tun … Charlotte. Vielleicht wissen Sie, worum es geht?«
»Ist Charlotte auch da?«, fragte Nel.
Er streckte die Hand aus. »Ich kann ihr den Brief ja geben.«
Ich steckte den Umschlag wieder ein. »Wir müssen die Damen persönlich sprechen und ihre Antwort überbringen.«
Er schüttelte energisch den Kopf. »Leonoor will nicht von Leuten aus den Niederlanden belästigt werden.«
»Schön«, sagte ich. »Damit sparen sich meine Auftraggeber einen Vergleich über eine Million Euro.« Ich lächelte ihm freundlich zu und fasste Nel am Arm. Ich rechnete damit, drei Schritte weit zu kommen. Es wurden fünf.
»Warten Sie mal!«, rief er. »Ein Vergleich?«
Wir blieben stehen. »Die andere Möglichkeit wäre ein Gerichtsverfahren, das sich über Jahre hinzieht.«
Der Mann stand eine Weile da und ließ es auf sich einwirken. »Das ist was anderes«, sagte er dann. »Sie ist mit Ivo unterwegs, meinem Sohn.« Er wies mit einem Nicken zum Wald. »Aber bestimmt kommen sie gleich zum Essen nach Hause.«
»Sind sie auf der Jagd?«
»Die Jagdsaison ist noch nicht eröffnet.« Er lachte und zeigte dabei einen fehlenden Eckzahn. »Es sei denn, ihnen begegnet ein verirrter Fasan.«
»Wir können nicht auf sie warten«, sagte Nel. »Ich muss gleich meine Tochter stillen, sie ist im Hotel bei unserem Kindermädchen. Sagen Sie uns einfach, wo wir sie finden können.«
Der alte Mann warf einen Blick auf Nels pralle Brüste unter ihrer Baumwollbluse, als sähe er sie jetzt zum ersten Mal. »Meine Frau konnte nicht stillen«, sagte er. »Sie ist vor zehn Jahren gestorben. Brustkrebs, aber das hatte wahrscheinlich nichts damit zu tun. Man sagt ja, dass Muttermilch besser ist fürs Gehirn. Vielleicht wären unsere Kinder dann Rechtsanwälte oder Bankiers geworden. Oder Politiker.« Sein Wiehern klang nicht wie ein Lachen.
»Wie sind Sie eigentlich nach Deutschland gekommen?«
»Hier gab es zu wenige Männer nach dem Krieg, und ich konnte eine Anstellung als Förster bekommen. Mein Nachfolger wohnt auf der anderen Seite, ich durfte im Haus wohnen bleiben und kriege eine anständige Rente. Ich kann mich über Deutschland nicht beschweren.« Er zögerte noch einen Augenblick und sagte dann: »Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.«
Er begleitete uns bis zum Weg. Ich deutete mit einem Kopfnicken auf den Honda. »Haben Sie noch anderen Besuch aus den Niederlanden?«
»Nein, das ist das Auto von Leonoor.«
Ein Wechsel auf die Zukunft. »Ich dachte, sie würde einen Renault fahren?«
»Davon weiß ich nichts, ich sehe sie nur sehr selten.« Er schüttelte den Kopf. »Sie hat mit einer anderen Frau zusammengewohnt, die habe ich ebenfalls nie gesehen, sie war die Mutter des Mädchens. Sie ist gestorben.«
»Jagt Leonoor auch?«, fragte Nel.
»Früher, ja. Aber sie hat nichts verlernt.« Er wusste von nichts und hatte keinen Grund, hinter dieser Frage irgendetwas zu vermuten. »Sie ist immer noch besser als ihre Brüder.« Der alte Mann schnaubte laut, als habe er eine verstopfte Nase. »Vielleicht wäre sie besser ein Junge geworden, aber die Natur macht, was sie will.«
Er blieb vor dem Haus stehen und zeigte in den Wald hinein. »Ivo arbeitet am Hochsitz. Hundert Meter weiter führt ein Weg links ab, Sie hören ihn sicher hämmern.«
»Ist Charlotte auch dort?«, fragt ich.
»Lotte ist im Gartencenter, bei Selm, sie hat kein sonderliches Interesse am Jagen und Schießen.«
»Arbeitet sie dort?«, fragte Nel überrascht.
»Na ja,
Weitere Kostenlose Bücher