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Charlotte

Charlotte

Titel: Charlotte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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nickte. »Aber ihr Anwalt hat mir erklärt, dass Leonoor als einzige lebende Sorgeberechtigte automatisch Charlottes Erbin wird.«
    »Großer Gott!«, sagte Charlotte.
     
    »Wir müssen nach Deutschland«, sagte Nel, als wir durch den Regen zurückfuhren. »Mist, und ich kann nicht mit!«
    »Tja«, sagte ich.
    »Jetzt fang nicht schon wieder an.«
    »Früher hat man solche dicken Ammen engagiert.« Ich lachte. »Corrie ist garantiert die letzte achtzehnjährige Jungfrau in den ganzen Niederlanden. Ihre Mutter verlangt von ihr, dass sie mich weiterhin mit Meneer anredet!«
    »Ich sehe da keinen Zusammenhang«, meinte Nel kühl. »Dafür sehe ich, dass du die Sache ziemlich gelassen nimmst.«
    »Charlotte droht keine unmittelbare Gefahr.«
    »Sagst du.«
    »Leonoor ist nicht so dumm, das Huhn zu schlachten, das goldene Eier legt. Ich meine, nicht bevor sie gelegt sind.«
    Nel fand das nicht witzig. Sie starrte verärgert die hin- und herpeitschenden Scheibenwischer an.
    »Leonoor kann kein Erbe erhalten, das noch gar nicht existiert«, gab ich zu bedenken. »Ohne Charlotte kann es keine Kindsteilforderung geben. Sollte Leonoor vorhaben, einen kleinen Unfall zu inszenieren, dann später, wenn die Beute eingeholt ist. Sollte Charlotte vorher sterben und Leonoor als Sorgeberechtigte einen Kindsteil von einem Kind fordern, das noch nicht einmal ihr leibliches ist, wird man sie im Gerichtssaal auslachen. Das weiß sie ganz genau.«
    »Aber sie ist verrückt!«
    Ich schüttelte den Kopf. »Sie ist schlau. Nicht verrückt. Ich habe morgen einen Termin mit der Witwe Runing. Ich kann sie nicht noch länger hinhalten. Versuch du die Brasmas aufzuspüren, ohne sie gleich in Alarmbereitschaft zu versetzen. Vielleicht sind sie gar nicht bei den Jägern, und wenn doch, bleiben sie garantiert noch eine Weile dort.«

 

16
    Gwenaëlle hatte mein Auto gehört und hielt mir die Tür auf. Ich hatte keinen Schirm dabei und rannte durch den strömenden Regen in die schützende Diele.
    »Mevrouw erwartet Sie«, sagte sie. »Möchten Sie sich kurz abtrocknen?«
    »Danke, es geht schon.«
    Dennoch führte sie mich zu einer Toilette mit getrenntem Damen- und Herren-WC sowie luxuriösen Waschbecken mit Handtüchern und Pflegeartikeln, als befolge sie eine Hausregel, nach der nasse Besucher nicht hereingelassen werden durften. Ich rieb mir die Haare trocken. Über mein Gesicht im Spiegel konnte man eigentlich nur sagen, dass es jedes Jahr älter und müder aussah, nicht unbedingt jedoch weiser. »Max Winter«, murmelte ich. »Wie geht es Ihnen?« Ich hatte Kopfschmerzen und dachte an Urlaub mit der Familie und einer Kiste Bücher, an Orten, die hundert Jahre entfernt von den wilden Jahren lagen, von Razzien in verdächtigen Gebäuden mit der Walther im Anschlag, hinter Bart Simons oder vor ihm her, als sei das Leben nicht etwas, mit dem man vorsichtig umgehen musste.
    Ich fand eine Schachtel Paracetamol in dem Schränkchen, ebenso unangebrochen wie die Toilettenpapierrollen in Hotelbadezimmern. Ich drückte zwei Tabletten aus der Folie, steckte sie in den Mund und stellte fest, dass kein Glas da war. Also trank ich aus den hohlen Händen. Eine der Tabletten blieb mir im Hals stecken und zog eine bittere chemische Spur von der Kehle bis in den Magen.
    Ich wählte einen hübschen Kamm aus der Kollektion in der Porzellanvase über dem Waschtisch, brachte das Chaos in Fasson und dachte an einen Monat in irgendeinem von diesen elenden Bungalows an der spanischen Küste zusammen mit Nel und Hanna. Und Corrie natürlich, sodass Nel und ich abends auf einer Restaurantterrasse essen, uns ein wenig betrinken und am Strand zurückspazieren konnten, uns unterwegs am Wasser lieben und die Zeit vergessen konnten, bis die Flut unter unsere Körper kriechen und wir zu treiben anfangen würden.
    Gwenaëlle brachte mich ins Wohnzimmer. Heleen Runing stand aus einem hohen Korbsessel auf, reichte mir die Hand und setzte sich wieder. Sie wirkte ziemlich nervös. »Und?«, fragte sie.
    Ich fischte die drei zusammengehefteten, längs gefalteten Blätter, die Nel heute Morgen blitzschnell für mich auf dem Computer getippt hatte, aus meiner Tasche und sagte: »Ich bin nicht besonders gut im Berichteschreiben.«
    Heleen legte die Blätter ohne sie anzuschauen auf den Tisch und strich ihren Leinenrock glatt. Ihre nebelblauen Augen folgten ihren Fingern. Sie trug wieder eine dieser klassischen Häkeljacken aus elfenbeinweißer Baumwolle über einer Seidenbluse mit

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