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Charlotte

Charlotte

Titel: Charlotte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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das Glas neben sich auf die Bank. »Ich bin kein Psychologe«, sagte er. »Und vielleicht liegt es am Zeitgeist, aber wenn ich den Fernseher einschalte oder die Zeitung aufschlage, kommt es mir vor, als wäre heutzutage jeder zu einem Mord fähig.«

 

10
    Ich hasse Gefängnisse, genau wie jeder andere auch. Sie wirken auf mich wie Spinnweben, in denen man sich mir nichts, dir nichts verfangen kann, durch eine verdächtige Bewegung im Besucherraum, weil man sich in der Vergangenheit durchaus etwas hat zu Schulden kommen lassen oder einfach durch einen Behördenirrtum. Ein ähnliches Gefühl beschleicht einen in Polizeipräsidien oder Gerichten: schuldig, selbst wenn man nichts getan hat. Als ehemaliger Polizist sollte ich dieses Problem eigentlich nicht haben, aber da ich so meine eigenen kleinen Rechtsbeugungen hinter mir hatte, fühlte auch ich mich unbehaglich in der Strafanstalt Nummer 1 am Wolvenplein zu Utrecht.
    Der Wachhabende schaute mir mit meinem Meulendijk-Ausweis in der Hand eine halbe Minute lang genau in die Augen, als warte er auf mein Geständnis, dass ich Stef Molenaar mithilfe eines spektakulären Fluchtplans befreien wollte.
    Ich lächelte ihn an. »Arnold Faber, sein Rechtsanwalt, wollte Sie eigentlich vorher anrufen.«
    Der Mann erwachte aus seiner Trance und nahm einen Telefonhörer ab. Er wechselte ein paar Worte mit jemandem in der Verwaltung und winkte einen der Vollzugsbeamten in die Eingangshalle. »Zimmer drei«, sagte er.
    Er drückte ein Gittertor auf und ich folgte dem Vollzugsbeamten in den Flur. Die Türen hatten kugelsichere Sichtfenster. Er öffnete eine und sagte: »Bitte warten Sie hier.«
    Die Tür fiel mit einem Klicken hinter mir ins Schloss. Ich befand mich in einem kleinen Raum mit einem Stahltisch, einigen Stühlen und einer Fliege an einem Gitterfenster. Ich sah Bäume, den Rasenstreifen und den Verkehr auf der anderen Seite des Ringgrabens. Unter der Decke war eine Kamera installiert. Laut Gesetz durfte das Monitorzimmer überwacht, aber nicht abgehört werden.
    Man gab mir rund fünf Minuten Zeit, durch die Gitterstäbe zu schauen, bevor Molenaar hereingelassen wurde. Er war ein großer Mann mit hartem Gesicht und einer fettfreien Muskulatur, wie man sie bei der Infanterie und bei Sicherheitsdiensten erwirbt.
    »Sie können ihm die Handschellen ruhig abnehmen«, sagte ich.
    Der Bewacher nickte. Er führte Molenaar zu dem Stuhl, der zur Kamera gerichtet stand, schloss die Handschellen an einer Seite auf und klickte sie mit einer raschen Bewegung an einem Tischbein fest.
    »Meneer hat es sich in den Kopf gesetzt, auszubrechen«, erklärte er. »Mit dem Tisch kommt er nicht so leicht durch die Tür.«
    Der Vollzugsbeamte ging.
    »Arschlöcher«, zischte Molenaar. Er stellte die Füße neben das Tischbein, damit er das gefesselte linke Handgelenk auf sein Knie legen konnte. Mit der freien Hand trommelte er auf die Tischplatte.
    »Ausbrecher mögen die grundsätzlich nicht«, sagte ich.
    »Und wer sind Sie?«
    »Max Winter. Ihr Rechtsanwalt hat mich gebeten, in Ihrem Fall noch einmal zu ermitteln.«
    »Ich kann Ihnen kaum weiterhelfen.«
    »Warum haben Sie versucht zu fliehen?«
    Sein Blick blieb unverändert. »Ich leide an Klaustrophobie.«
    Ein unwilliger Mandant. »Haben Sie Meneer Runing erschossen?«
    »Spielt doch keine Rolle, was ich sage.«
    »Für mich schon.«
    Molenaar schnaufte. »Ich werde wohl besser das Land verlassen.«
    »Ausbrechen ist nicht mehr so einfach wie früher, als die Tante nur eine Feile in den Geburtstagskuchen einzubacken brauchte.«
    »Es gibt immer einen Weg.«
    »Warum sind Sie zu Runings Beerdigung gegangen?«
    »Aus Spaß.«
    »Wenn du weiterhin das Arschloch spielen willst, kann ich auch wieder gehen.«
    »Ich halte dich nicht auf.«
    Ich schaute in sein mürrisches Gesicht und suchte nach einem Ansatz, wie ihm beizukommen war. Ihm vorhalten, was ihm blühte, hatten andere wahrscheinlich schon getan. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, warum, aber dein Rechtsanwalt hält es tatsächlich für möglich, dass du es nicht getan hast.«
    »Wegen mir braucht er nachts nicht wach zu liegen.«
    »Hast du wirklich geglaubt, dich hier so einfach aus der Affäre ziehen oder abhauen zu können?«
    Seine Augen wanderten zu der Kamera und dann beugte er sich zu mir und sagte in gedämpftem Ton: »Egal was passiert, nach diesem Unsinn kriege ich nirgendwo mehr eine Anstellung, außer bei der Mafia. Dieses Land ist für mich gestorben. Abhauen ist

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