Charlottes Traumpferd | Gefahr auf dem Reiterhof
sich ergehen. Der Drucker des Geräts spuckte schwarz-weiße Bilder aus, die den Röntgenbildern ähnelten, im Unterschied zu diesen aber die Weichteile wie Sehnen und Bänder darstellten, nicht die Knochen. Und das, was Dr. Feldmann darauf sah, schien ihm nicht zu gefallen. Er verschwand mit seinem Assistenten in dem kleinen Büro und kehrte nach ein paar Minuten mit ernster Miene zurück.
»Ich habe leider keine guten Nachrichten«, sagte er zu Herrn Friese. »Corsario hat sich nicht nur die Beugesehne schwer gezerrt, sondern auch – was erheblich schlimmer ist – den Fesselträger angerissen. Bei einem jungen und ansonsten gesunden Pferd würde ich zu einer Behandlung raten, aber in diesem Fall sieht es anders aus. Auf den Röntgenbildern ist auch ein alter Bruch des Kronbeins zu erkennen, der zwar verheilt ist, aber leider schlecht. Dazu kommt die Hufrollensymptomatik an beiden Vorderbeinen.«
»Wie lange würde es dauern, bis das mit der Sehne ausheilt?«, wollte Doro wissen.
»Sicher ein paar Monate. Und dann besteht das Risiko, dass durch die Überlastung das andere Bein auch noch einen Schaden erleidet«, erwiderte Dr. Feldmann. »Ganz ehrlich: Er wird als Reitpferd nicht mehr zu gebrauchen sein, und wenn Sie ihn auf eine Koppel stellen, tun Sie ihm auch keinen Gefallen, denn er wird immer Schmerzen haben. Ich nehme an, er ist gestern gestürzt, weil er Schmerzen und Angst vor der Landung nach dem Sprung hatte. Das wird nicht anders werden, selbst wenn die Sehnenentzündung ausgeheilt ist.«
Für einen Moment war es ganz still.
»Was würden Sie uns raten?«, fragte Herr Friese den Tierarzt.
»Ich könnte Ihnen jetzt sagen, wir behandeln das Pferd und warten ab«, entgegnete Dr. Feldmann. »Aber Corsario ist ein altes Pferd, das in seinem Leben viel geleistet hat. Eine Behandlung ist langwierig und nicht billig. Darüberhinaus sind die Erfolgsaussichten alles andere als gut. Ich rate Ihnen, das Pferd nicht länger leiden zu lassen.«
Das Todesurteil für Corsario schien von den Wänden zu hallen. Ich warf Doro einen raschen Blick zu; sie trug es mit erstaunlicher Fassung. Hätte man mir so etwas gesagt, wäre ich wahrscheinlich in Tränen zerflossen.
»Ich hab es mir schon gedacht«, sagte Doro mit fester Stimme. »Er lief ja nie besonders gut. Und auch wenn’s herzlos klingt: Ich möchte ein Pferd haben, auf dem ich reiten kann.«
»Das ist nicht herzlos, sondern vernünftig«, erwiderte Dr. Feldmann. »Du ersparst dem Pferd sehr viele Schmerzen. Ein Pferd, das nicht schmerzfrei laufen kann, hat kein schönes Leben mehr vor sich.«
Doro nickte und seufzte. Sie klopfte dem Schimmel den Hals, zerzauste seine Mähne.
»Was passiert jetzt?«, erkundigte sich Herr Friese. Ich bemerkte den Blick, den Dr. Feldmann und sein Assistent wechselten.
»Komm mit«, sagte der junge Tierarzt zu Doro. »Ich zeige dir die Box, in die du Corsario stellen kannst.«
Ganz klar, Doro und ich sollten nicht hören, was nun besprochen wurde. Wir folgten dem jungen Mann aus dem Behandlungsraum hinaus auf den Hof. Er öffnete eine der Boxen und Doro führte den Schimmel hinein.
»Du kannst die Decke und das Halfter mitnehmen«, sagte der Tierarzt. »Wir haben hier auch Decken und Halfter.«
»Als ob er das noch brauchte«, entgegnete Doro mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich bin doch nicht blöd.«
Sie zog Corsario die Stalldecke aus und nahm ihm das Halfter ab.
Ich verließ die Box, damit meine Freundin Abschied von ihrem Pferd nehmen konnte. Abschied für immer.
»Ich bin noch aufgeregter als beim Reitabzeichen«, gestand mir Susanne, als wir in der halb offenen Hallentür standen und den Vorführungen der Anfängervoltigiergruppe mit Frau Schlichte zusahen, deren Auftritt der erste Programmpunkt unserer Weihnachtsfeier war.
»Es sind viel mehr Zuschauer da«, erwiderte ich. Zehn Meter der Reitbahn waren abgeteilt worden. Hinter der Absperrung drängten sich wohl sämtliche Angehörigen aller Vereinsmitglieder. Die Damen des Vereins hatten einen Stand aufgebaut, an dem sie Waffeln backten, Glühwein und heißen Orangensaft ausschenkten.
Der Parkplatz draußen und die ganze Straße standen voller Autos. Trotz des Schneefalls hatte sich niemand davon abhalten lassen, zur Weihnachtsfeier zu kommen. Im Stall herrschte kontrollierte Panik. Als Nächstes würde die Schulpferdequadrille auftreten. Zwölf Schulpferde mit zwölf aufgeregten Reitern waren kurz vor dem Durchdrehen. Hier lösten sich Zöpfchen in der
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