Charlottes Traumpferd | Gefahr auf dem Reiterhof
seinen Mercedes gehängt und rangierte ihn nun vor den Stall. Die Schmerzspritze, die der Tierarzt Corsario gegeben hatte, wirkte, und der Schimmel kletterte brav auf den Anhänger, wie er es wohl schon Hunderte Male in seinem Leben als Turnierpferd getan hatte. Mir zog sich das Herz zusammen. Ich hatte kein gutes Gefühl. Herr Friese setzte sich auf den Beifahrersitz, Doro und ichnahmen auf der Rückbank Platz. Während der Fahrt erklärte Herr Kessler Doros Vater, der genauso wie meine Eltern von Pferden und ihren Krankheiten nicht den geringsten Schimmer hatte, was der Tierarzt vermutete.
Eine halbe Stunde später hatten wir die Pferdeklinik in einem kleinen Dorf im Taunus erreicht. Offenbar waren wir die Einzigen, die heute mit einem Patienten zur Untersuchung kamen; am Samstag war die Klinik eigentlich geschlossen – außer für Notfälle. Der junge Tierarzt kam aus dem Haus und öffnete uns das große Hoftor. Ich blickte mich neugierig um. Noch nie war ich in einer Pferdeklinik gewesen, ja ich hatte nicht einmal gewusst, dass es so etwas gab. Auf den ersten Blick sah es aus wie auf einem Bauernhof. Ich schaute in einige der Boxen, die auf der rechten Seite des Hofes lagen, und schauderte, als ich ein Pferd mit einem Verband um den Kopf erblickte und in der Nachbarbox eines, das teilnahmslos mit gesenktem Kopf und verbundenen Vorderbeinen dastand. Nun erschien auch Dr. Feldmann und begrüßte uns. Doro und ich luden Corsario aus und meine Freundin führte ihn auf den gepflasterten Hof.
»Na, Corsario, alter Freund«, begrüßte Dr. Feldmann den Schimmel und klopfte ihm den Hals. »Was machst du denn für Sachen, hm?«
Er kannte den Schimmelwallach aus dessen Glanzzeiten von vielen Turnieren, auf denen Corsario in zahlreichen Springprüfungen Schleifen und Pokale errungen hatte. Der junge Tierarzt öffnete eine große Tür zu unserer Linken, an der ein Schild mit der Aufschrift »Achtung – Röntgenstrahlen!«angebracht war, und Doro führte ihr Pferd in einen Raum, der mit Gummiboden ausgelegt war. Dr. Feldmann rangierte das fahrbare Röntgengerät vor das Pferd, dann mussten sein Assistent und Doro schwere Bleiwesten anziehen. Herr Friese, Herr Kessler und ich warteten draußen.
Schon nach zehn Minuten war die Prozedur vorbei und wir durften wieder hinein. In einem kleinen Zimmer neben dem Röntgenraum hing ein Lichtkasten an der Wand, an den Dr. Feldmann nun einige Röntgenbilder heftete. Weiß leuchteten Corsarios Knochen vor dem dunkelgrauen Hintergrund.
»Und?«, fragte Doro ungeduldig. Der Tierarzt lächelte. Für ihn war das hier sein tägliches Brot, er war die Ruhe selbst.
»Zuerst machen wir noch ein Ultraschallbild von dem verletzten Bein«, sagte er. Dabei durften wir zusehen, denn bei einer Ultraschalluntersuchung gab es keine gefährlichen Strahlungen. Neugierig beobachtete ich, wie der junge Tierarzt das Fell an Corsarios Bein mit einem Rasierer entfernte. Der Schimmel ließ sich die Behandlung gleichmütig gefallen. Er stand wie festgewachsen da, in seinen dunklen Augen lag Vertrauen. Ob er wusste, dass man ihm helfen wollte?
Dr. Feldmann hatte unterdessen ein anderes Gerät herbeigeholt, einen hellen Kasten mit einem Monitor. Er gab ein Gel auf die Ultraschallsonde und fuhr damit langsam über das Bein des Pferdes. Das schien Corsario unangenehm zu sein. Er hob das Bein und machte einen Schritt rückwärts. Doro führte ihn wieder nach vorn, der jungeTierarzt ergriff Corsarios gesundes Bein und hob es hoch. Aber es gefiel dem Schimmel nicht, auf drei Beinen stehen zu müssen, dazu noch auf dem Fuß, der ihm wehtat. Er legte die Ohren an, ging wieder rückwärts und schnaubte. Der junge Mann stieß einen leisen Fluch aus und musste das linke Bein loslassen. Herr Kessler nahm Doro den Führstrick aus der Hand, und der Tierarzt kam mit einem Holzstab wieder, an dem sich eine Seilschlaufe befand. Geschickt ergriff er Corsarios Oberlippe und drehte die Schlinge wie einen Knebel darum.
»Was ist das denn?« Ich war entsetzt. Das sah wirklich brutal aus.
»Eine Nasenbremse«, erklärte der Tierarzt. »Das tut ihm nicht weh. Der Druck auf die Oberlippe löst den Ausstoß beruhigender Stoffe im Gehirn des Pferdes aus und wirkt deshalb wie eine Sedierung.«
Ich glaubte ihm nicht ganz, aber er schien recht zu haben.
Corsario stand nun wieder ganz ruhig, die Augen halb geschlossen, als hätte er eine Beruhigungsspritze bekommen, und ließ die Ultraschalluntersuchung ohne einen Mucks über
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