Charmant und unwiderstehlich
Briefkasten. Abel! war darauf zu lesen. Hier bin ich richtig, dachte Brad unwillkürlich. Seine Suche nach Melissa Abell war zu Ende. Er hatte sie gefunden. Und das Kind seines Bruders.
Entschlossen lenkte er seinen Sportwagen auf den holprigen Kiesweg. Nach einer schärfen Biegung stand er plötzlich auf einer freien Fläche und hielt an. In der Mitte des Platzes befand sich ein altes Farmhaus aus Schindeln, das bestimmt schon bessere Tage gesehen hatte. Es war umringt von ein paar heruntergekommenen Scheunen, und hinter dem Haus dehnten sich die saftigen Wiesen. Unkraut rankte sich am verwitterten, weiß gestrichenen Zaun hoch.
Brad konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf das Haus und runzelte die Stirn.
Über die Hälfte der weißen Farbe war schon abgeblättert und gab das nackte Holz zu erkennen. Einige der grün angemalten Fensterläden fehlten. Es wehte eine leichte, frühsommerliche Brise, und auf der Veranda vor dem Haus schaukelten zwei Schaukelstühle aus Korbgeflecht gemächlich hin und her. Blaue, rote, violette und gelbe Blumen blühten auf den Beeten vor dem Haus und sollten den kläglichen Anblick in freundlicheres Licht tauchen, aber der Versuch gelang nur mäßig.
Er stieg aus dem Wagen und schaute sich um. Es fiel ihm ausgesprochen schwer, die heruntergekommene Farm mit der Frau in Verbindung zu bringen, die vor fünf Jahren in Bellfield sein Herz im Sturm erobert hatte. Hat sie mich etwa belogen? fragte er sich. Das Haus sah ganz und gar nicht danach aus, als würde es von einer weltläufigen Innenarchitektin bewohnt.
Nein, es war keine Lüge gewesen. Jetzt fiel es ihm wieder ein. Damals auf der Hochzeit von Gary und Leigh hatte sie tatsächlich behauptet, dass sie Innenarchitektin sei und ein eigenes Geschäft besitze. Aber wenn sie die Schwangerschaft in der Nähe von Gary und Leigh hatte verbringen wollen, dann musste sie ihr Geschäft für neun Monate schließen. Und das hielt kein Unternehmen aus. Die Schwangerschaft würde sie ruinieren. Wovon will sie ihr Baby eigentlich ernähren? fragte Gary sich wieder. Im Bericht des Detektivs hatte es geheißen, dass die Farm ziemlich heruntergekommen war, aber trotzdem ein lohnendes Investitionsobjekt darstellte. Nur hatte Brennan keine Anzeichen entdeckt, dass sie ihr Haus verkaufen wollte. Außerdem hatte der Detektiv ihm verschwiegen, dass Melissa Abell offenbar völlig verarmt war.
Brad war wie angewurzelt stehen geblieben. Seine Wut schnellte in ungeahnte Dimensionen. Hier will diese Frau Garys Baby aufwachsen lassen? Brad war empört. Vor seinem geistigen Auge erschien ein kleiner junge, der Gary ähnlich sah. Barfuß und in abgerissener Kleidung stand er neben der Straße und schaute zu, wie die Welt an ihm vorüberzog. Am besten, ich hole das Baby ganz zu mir, dachte er grimmig. Er konnte ein Kindermädchen engagieren, das sich um den Alltag kümmerte. Und er wollte da sein, wann immer es einen großen Augenblick im Leben seines Neffen zu feiern gab.
Er straffte die Schultern, wappnete sich innerlich für den Kampf um den Sohn seines Bruders und machte sich auf den Weg zur Haustür. Als er den Fuß auf die unterste Stufe der Verandatreppe gesetzt hatte, hörte er Melissas Stimme durch die Tür. „Was willst du?“ fragte sie mit feindseliger Stimme.
Brad atmete tief durch. „Du hast das Mittagessen sausen lassen“, scherzte er gezwungen.
„Ich hatte dir und deiner Familie nichts mehr zu sagen“, antwortete sie. Sie klang jetzt ganz ruhig. Fast schon feierlich. „Keinen Bissen hätte ich heruntergebracht.“
„Und deshalb bist du davongerannt?“ Er hob die Augenbraue. „Weil du uns nichts mehr zu sagen hast?“
„Ich bin nicht gerannt. Ich bin gefahren. Wir leben schließlich in einem freien Land.“
Er atmete noch mal tief durch und zwang sich zur Ruhe. „Melissa, wir müssen reden“, drängte er.
„Ach, wirklich? Worüber sollten wir beide uns unterhalten?“ Sie stieß die Tür auf und trat auf die Veranda.
Die Schwangerschaft sah man ihr immer noch nicht an. Ihre Figur war zierlich und schlank, und ihre blaugrünen Augen blitzten vor Wut. Mühsam unterdrückte er ein Grinsen. Sie mochte wütend sein und ihre Stimme konnte hart klingen, aber wenn ihre blonden Locken ihr hübsches, herzförmiges Gesicht umrahmten und ihr hellblaues Kleid ihren Körper umschmeichelte, dann wirkte sie einfach süß und unschuldig. Und unglaublich verführerisch.
„Es wird dich nicht viel Zeit kosten“, meinte er und zwang sich, den
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