Chemie der Tränen
Ich habe Sie gegoogelt.«
Schweigen.
»Könnte ich was zu trinken haben?«, fragte Noah.
Ich wusste, es würde Matthew nicht gefallen, wenn ich ihm Alkohol brachte.
»Haben Sie Bier da?«
»Nur Rotwein und noch ein bisschen Whisky.«
»Whisky dann«, sagte er und hielt meinem Blick stand.
Ich sah zu seinem Bruder. Er schüttelte den Kopf. »Ich bin der Fahrer.«
Als ich seinen Vater zum ersten Mal traf, steckte Noah in Schwierigkeiten, weil er einen Witz über ein schwules Kamel erzählt hatte. Er war damals noch ein kleiner Junge gewesen und hatte es offenbar lustig gefunden, dass ein Kamel schwul sein könnte. Die Schule war anderer Ansicht gewesen.
»Seltsam, oder?«, sagte ich, während ich in der Küche den Whisky einschenkte. Das ›oder‹ klang so alt, so falsch.
»Was denn?«
Ich holte noch ein Glas Wasser und stellte es Noah mit dem Whisky zusammen hin. Angus stand vor dem gerahmten Foto von der Scheune.
»Seltsam, dass wir drei hier zusammen sind«, sagte ich, während das Kind seinen Whisky unverdünnt trank. »Tut mir leid, wenn Ihnen das jetzt peinlich ist.«
»Hat es Ihnen da gefallen?«, fragte Angus, den Blick aufs Foto gerichtet. Er war erwachsen, roch aber wie ein Jugendlicher.
Ich stellte mich an seine Seite. »Ich glaube, Ihnen hat es da nicht gefallen, oder doch?«
Er zückte seinen Frankenpod, seine Space-Zwiebel oder was auch immer. »Haben Sie’s je gegoogelt? Wollen Sie mal sehen?«
Natürlich wollte ich es nicht sehen. »Also schön«, sagte ich.
Angus setzte sich aufs Tagesbett, ich links neben ihn. Wir beugten uns über den kleinen Apparat, berührten uns fast, und da war sie, die Scheune vom Weltall aus gesehen, die Felsküste, die Bäume, im Schatten das graue Dach.
In Suffolk war jetzt Nacht, doch war das Tagbild nicht weniger verstörend, bloß weil es in der Vergangenheit aufgenommen worden war. Der Satellit hatte uns nachspioniert in jenem Sommer der langen Dürre, der braunen Weiden, der sterbenden Bäume. Ich konnte die Norton Commando erkennen, also mussten wir dort sein, zusammen, lebendig, nichts ahnend.
»Anscheinend waren wir drinnen«, sagte ich, und dann war es mir peinlich, was sie denken mochten: all der müfflige Sex. »Hatten Sie je den Eindruck, ich würde Ihnen Ihren Vater nehmen?«
»Seien wir ehrlich«, sagte Noah. »Das haben Sie getan.«
Eine Art wortloser Kommunikation fand zwischen ihnen statt.
»Nein, Sie waren das nicht«, sagte Angus, doch musste ich überall um sie herum existiert haben.
Noah ging aus dem Zimmer, und ich – keine Ahnung warum – schnappte mir Carls Würfel, um ihn aufs Regal in meinem Rücken zu stellen.
Als er mit der Whiskyflasche zurückkam, sprach er seinen älteren Bruder direkt an. »Wir wollten die Wahrheit sagen. Darauf hatten wir uns geeinigt.«
Das Herz wurde mir schwer.
Noahs Mund konnte wie der seines Vaters eine unendliche Vielzahl von Nuancen zum Ausdruck bringen. Er starrte auf das Regal über meinem Kopf, nur hatte ich keine Ahnung, was er dachte, obwohl er sichtlich amüsiert war.
Dann nahm Angus das gerahmte Bild von der Wand. Ich habe es noch nie gemocht, wenn Leute meine Sachen in die Hand nehmen, ignorierte aber meinen Unwillen, als mir auffiel, wie traurig und schmuddelig meine Wände aussahen.
»Das gehört jetzt Ihnen«, sagte Angus.
Ich war so angespannt, dass ich dachte, er meinte die Fotografie und regte mich auf, weil er sich anmaßte, mir geben zu wollen, was meins war.
»Sie meinen das hier?«
»Die Scheune, ja. Die gehört Ihnen.«
Mein Herz machte einen Sprung, aber natürlich waren sie noch Jungs und wussten längst nicht alles. Matthew und ich hatten über sein Testament geredet. Er wollte, dass unser Geheimnis auch nach seinem Tod gewahrt blieb, und falls mir das etwas ausgemacht hatte, dann wohl kaum besonders lang.
»Das ist wirklich lieb. Ich wünschte nur, es wäre wahr.«
Noah griff nach der Whiskyflasche, und wir sahen zu, wie sie die letzten Tropfen hergab.
»Es ist Ihr’s.« Noah besaß das leicht unangenehme Selbstvertrauen, mit dem junge Privatschulenzöglinge ihre Stelle antreten. Ich habe das Testament deines Vaters gesehen, du Rotzlöffel, hätte ich ihm am liebsten gesagt. Er hat es 2006 unterschrieben, und ich kann dir versprechen, dass Catherine Gehrig darin nicht einmal eine kleine Statistenrolle spielt.
»Dad konnte es Ihnen natürlich nicht hinterlassen«, sagte Angus.
»Nein, natürlich nicht.« Er drückte all meine Knöpfe gleichzeitig. Dreizehn
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