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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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Maschine.«
    »Ja, aber Luzifer ist sehr schön.«
    Ihr Blick war zu direkt.
    »Es spricht Luzifer in Ezechiel: Am Tage, da du geschaffen wurdest, mussten da in dir bereitet sein deine Pauken und Pfeifen.«
    »Nun«, sagte ich. »Ich denke, für heute ist’s genug.«
    »Sie haben es eilig.«
    Ja, ja, das hatte ich wirklich.

4
    Der Eingang zu meiner Wohnung glich einer hohen Bibliothek und war deutlich schmaler, als die für Londoner Korridore vorgeschriebene Mindestbreite von einem Meter. Die Regale waren aus hellem, glattem Coachwoodholz mit seidenweichem Touch. Die einzelnen Bretter wurden von niedrigtemperaturigen Lampen erhellt. Auf dem Boden lag ein alter Täbris-Teppich, der besser aussah, als er war.
    Der Eingang war also ein Schmuckkästchen, und ich stellte die Beleuchtung stets so ein, dass er sich meinem Besucher im besten Licht präsentierte. Mit ›meinem Besucher‹ ist natürlich Matthew gemeint. Sonst hatte ich kaum jemanden in meine Wohnung gelassen. Und wenn Eric kam, musste ich, sofern ich höflich sein wollte, vor die Tür zu treten, um ihn einlassen zu können.
    Als es an diesem Abend an der Tür klingelte, machte ich auf und sah nicht Eric vor mir stehen, sondern Geister und Spiegelbilder meines Geliebten, seine beiden Söhne, dunkeläugig im Regen.
    Der Ältere trug die Hose, wie Matthew seine getragen hatte – auf schmaler Hüfte und mit Bügelfalte. Sicher St. Vincent de Paul, aber äußerst elegant. Das war Angus, der Mathematiker. Er hatte das Haar seines Vaters, die große Nase, den sinnlichen, humorvollen Mund.
    »Kommen Sie herein«, sagte ich und trat nach draußen. Sie wichen zurück wie verängstigte Pferde.
    Noah, der Jüngere, war der Größere. Auf Fotografien war er stets auch der Hübschere gewesen, hatte jetzt aber einen Stoppelbart, und sein Haar sah wild und wuschelig aus, wie mit einer Nagelschere bearbeitet.
    »Bitte, kommen Sie ins Haus.« Meine Hände zitterten.
    »Es tut uns leid«, sagte Angus. Die Knöpfe an seinem Hemd waren handbemalt und sahen in diesem Licht wie indische Miniaturen aus.
    »Nun, ich weigere mich, Sie im Regen stehenzulassen.«
    Noah sah vorwurfsvoll zu seinem Bruder hinüber.
    »Es tut uns leid«, sagte Angus erneut und trat dann zügig durch meine Bibliothek. Noah folgte ihm, musste in der Tür aber den Kopf einziehen. Er hatte Dreck an den Schuhen, doch das war mir egal. Ich schaute auf die langen Läuferbeine seines Vaters.
    Noah strich über ein Coachwoodbrett, als wollte er meine hausfraulichen Qualitäten prüfen, während er insgeheim feststellte, dass es sich um Regenwaldholz handelte. Er war der Grüne in der Familie, außerdem ein Genie in Altphilologie. Mit vierzehn war er betrunken heimgekommen und hatte ins Bett gekotzt. Ich hatte ihn selbst nie kennengelernt und doch Jahr um Jahr mit ihm gelebt.
    Unbehaglich standen sie auf meinem Baumwollteppich, einer von der hellen, empfindlichen Sorte, wie ihn nur kinderlose Menschen besitzen. Sie wussten nicht, wohin mit sich, also entschied ich mich fürs Nelson Case Study Tagesbett und setzte mich an den äußersten Rand, woraufhin Noah mir gegenüber auf dem Gustav Axel Berg Platz nahm, dessen achtzig Jahre altes Kernholz unter seinem Gewicht ächzte.
    Angus nahm schließlich mit dem anderen Ende des Betts vorlieb; selbst aus dieser Entfernung roch er mufflig und ungewaschen.
    Der geklaute blaue Würfel stand mitten auf dem Zeitschriftentisch. Noah folgte meinem Blick und griff nach dem Würfel, ganz der Sohn seines Vaters.
    »Darf ich rauchen?«, fragte er.
    »Natürlich.«
    Er fischte einen Tabakbeutel aus der Tasche, balancierte Carls Spielzeug auf dem Knie.
    Arme Jungs, dachte ich – ihre lieben Augen, große dunkle Seen voller Schmerz, einander ähnlicher als den Augen des Vaters – niedrige Brauen, eine qualvolle, stumme, angespannte Konzentration. Worauf, wusste ich nicht. Aber was ich an Matthew schön fand, sah ich in ihnen wieder, das Sehnige, Knochige, die breiten Schultern, die gleiche liebenswerte Nase.
    »Ich hole einen Aschenbecher.«
    Ich dachte, wenn ich ihm den gebe, nehme ich ihm den Würfel wieder weg, doch als ich zurückkam, hatte er den Würfel aus irgendeinem Grund tief zwischen die Beine geklemmt.
    »Wir sind uns nie wirklich begegnet«, sagte ich zu seinem Bruder.
    »Nein, eigentlich nicht.«
    »Aber Sie sind Angus?«
    »Ja.«
    »Und ich bin das Problemkind«, sagte Noah und stellte Carls Würfel zurück auf den Tisch. »Ich bin Noah. Und Sie sind Catherine Gehrig.

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