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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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kein rauchender Affe, sondern ein glitzernder Phallus, bloß das nackte Metall, fast, als wäre er gehäutet worden.
    Bald sollten in den glatten, glänzenden Hals die Antriebsketten eingezogen werden, die wie Nervenstränge durchs Rückgrat führten. Diese trocknen Ketten verliefen über eine Reihe von Rollen und ermöglichten die Bewegung des unteren sowie des oberen Halses, das Kopfnicken und das Zucken des Fisches im Schwanenschnabel.
    Es gab fünf Ketten unterschiedlicher Stärke, die dünnste bestand aus einhundertsiebzig Gliedern und damit, so schätzte Amanda Snyde, aus über siebenhundert zusammengenieteten Einzelteilen. Normalerweise konnten nur Kinder und Mütter – kleine Hände, junge Augen – derart delikate Arbeiten erledigen.
    Wir wussten, dass die erste Kette den Unterschnabel kontrollierte sowie jene Bewegungen, mit denen der Schwan sein Gefieder putzte oder einen Fisch fraß. Die zweite Kette war für die Fische selbst, dank der dritten konnte der Schwan mit dem Kopf nicken, mit der vierten den Hals krümmen, und die fünfte war mit der Halsmitte verbunden und ließ, wenn wir richtig lagen, die Bewegungen besonders graziös und lebensecht wirken.
    Heute war der erste von zwei ›Halstagen‹, doch würden wir mit dem Zusammensetzen erst beginnen, nachdem ich wie gewohnt meine halbe Stunde mit Matthews E-Mails verbracht hatte, etwas, das ich schlicht ›meinen Hausputz‹ nannte. Amanda hielt Distanz und stellte keine Fragen, was mich davon überzeugte, dass sie genau wusste, was ich tat.
    Sie verzeichnete Struktur und Maße jedes Kettengliedes, während ich mit meinem Geliebten allein blieb. Was waren wir doch für seltsame Menschen gewesen, er und ich, Rationalisten und zugleich Sensualisten, stets stolz auf unsere Körper, für die wir Sorge trugen, da wir wussten, dass unsere Leben endlich waren, auch wenn wir uns benahmen, als ob es uns ewig gäbe. Wie schön es war, was er mir geschrieben hatte, und so oft. Wir hatten die Zeit nicht geleugnet, wie man es von Menschen erwartet. Badeten wir am Strand von Dunwich, waren wir uns unserer Haut bewusst, unserer Herzen, spürten Wasser, Wind, die riesige, komplexe Maschinerie der Erde, den Rhythmus von Regen, Gezeiten und Verdunstung, den zeitlosen Wind, der durch die Heidebäume fuhr. Später sollte mir schwindlig werden, wenn ich mich daran erinnerte, dass das Blut aus den Penisschwellkörpern durch eine Reihe von Adern zurückgeführt wird, von denen manche in beträchtlicher Zahl vorkommen, ehe sie am Organrücken zusammenlaufen, um die tiefe dorsale Penisvene zu bilden. Lieber Gott, dachte ich, wir haben dafür gelebt, und jetzt habe ich vielleicht nie wieder Sex. Verzweiflung überfiel mich, als ich den Computer herunterfuhr, und ich begann wieder zu arbeiten, nur sah ich Flechte und Heide ölverschmiert, Rotwild, Kaninchen, Ziegenmelker triefend vor Öl, Unterseeroboter, die sich durch den schwarzen Schlamm wühlten.
    Dann dachte ich: Dem Himmel sei Dank für Amanda. Das mag jetzt gerade nicht ganz folgerichtig klingen, doch konnte sie an einem guten Tag eine äußerst angenehme Assistentin sein, eine jener seltenen Kreaturen, die die Pinzette bereithalten, ehe man darum gebeten hat. Das knifflige Einfädeln ging nur langsam vonstatten, durch eine gute Assistentin aber konnte es zu einem hochdisziplinierten Duett werden, und wenn man dabei sukzessive und sorgsam vorging, konnte man damit rechnen, etwa alle Stunde eine neue Verbindung herzustellen, die dann jenes enorme Vergnügen auslöste, das aufkommt, wenn Menschen gut zusammenwirken. Im Laufe des Tages aber krochen diverse Traurigkeiten wie fahle, gleißende Leberegel in meine Gedanken. Wie mir Matthew fehlte, wie weh das tat.
    In der Mittagspause schickte ich Eric eine reuige E-Mail und entschuldigte mich für meinen Ausbruch tags zuvor. Da er bis zum Abend immer noch nicht geantwortet hatte, rief ich ihn an.
    »Croft.«
    Mich verließ der Mut, und ich legte auf. Verstört wie ich war, zerbrach ich die dünnste Kette und zog dadurch mehr Mitgefühl auf mich, als mir lieb war. Amanda berührte mein Handgelenk.
    »Macht er Ihnen Angst?«, fragte sie.
    Sie meinte den Schwan, nicht Croft.
    »Natürlich nicht.«
    »Es ist falsch, sich den Teufel als hässlich vorzustellen«, sagte sie.
    Warum, dachte ich, musst du aus der Dunkelheit heraus solche Träume spinnen? Warum freust du dich nicht einfach über das mechanische Wunder vor deinen Augen?
    »Amanda, meine Liebe, wir restaurieren eine

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