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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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ein Feuerzeug halte, an den Seiten eines dieser plumpen Unwörter in weißen Druckbuchstaben. Etwas ragt aus der schwarzen Umhüllung heraus, Stahl, wie ein Lippenstift.
    »Sie öffnen einfach einen neuen Ordner für Ihre E-Mails, archivieren sie und verschieben das Archiv auf den USB -Stick.«
    »Was ist ein USB -Stick?«
    »Das hier.« Sie drängt es mir regelrecht auf, was ich überhaupt nicht mag.
    »Ich könnte es für Sie darauf speichern. Geht blitzschnell.«
    »Danke, ich komme zurecht.« Sie arbeitet für mich, sie erstattet mir Bericht, doch obwohl ich ihre Hilfe ablehne, versucht sie, mich zu umgehen.
    »Was glauben Sie denn, Amanda, was ich hier tue?«
    Sie will keine Antwort geben. »Ich sage ja nur, dass Sie nicht Stunde um Stunde damit zu verbringen brauchen. Das muss die Hölle sein.«
    »Wer hat es Ihnen erzählt?«
    Sie ist fest entschlossen, die Kontrolle über meinen Computer zu erlangen.
    »War es Mr Croft?«
    Ihre Puppenaugen werden feucht vor ungewolltem Mitgefühl. Zugleich öffnen sich ihre Pupillen so weit wie bei einem Geschöpf, das in der Dunkelheit lebt.
    »Bitte, bitte, lassen Sie mich einfach …« Und sie schiebt sich zwischen mich und den Computer und beginnt zu tippen, noch während sie redet. »Sie können es mit nach Hause nehmen und auf Ihrem eigenen Gerät speichern. Haben Sie einen Mac?«
    »Nein, einen PC , also funktioniert das natürlich nicht.«
    Sie blickt mich über die Schulter an, mustert mich, als wäre ich ein gefährliches Tier, und lässt mich nicht aus den Augen. Von nahem riecht sie seltsam abgestanden, dann entdecke ich Dreck unter ihren Fingernägeln.
    »Sie wissen, von wem die E-Mails sind?«, frage ich sie.
    »Sie werden jetzt geladen.«
    »Wer hat es Ihnen gesagt, Amanda?«
    »Wir wissen beide, wer es mir gesagt hat.« Sie drückt mir das winzige Ding in die Hände, legt meine Finger darum. Eine subtile Machtverlagerung hat stattgefunden.
    »Er sorgt sich um Sie, Miss Gehrig.«
    »Nein.«
    »Er denkt nur daran, wie es Ihnen geht.«
    »Und doch können wir nicht sagen, wer er ist.«
    »Nein.«
    »Dabei haben wir das längst getan.«
    »Sie wissen ja, wie schrecklich wichtig der Schwan für das Museum ist. Und dass er größte Mühe hat, das nötige Geld aufzutreiben, das wissen Sie auch. Er muss überall die Runde machen, sich charmant geben, und es ist bestimmt nicht angenehm, bei all den Großkotztypen in der City betteln zu müssen.«
    Da will das Ei wohl klüger als die Henne sein, doch so richtig bitter stößt mir eigentlich nur auf, dass meine nette, hübsche, clevere, kindlich junge Assistentin, meine Courtauld-Absolventin, Matthew aus dem Computerspeicher genommen hat, so dass ich ihn jetzt mit mir herumtrage, als wäre der Stick eine Phiole mit seiner Asche.

Henry
    Sumper und ich verließen das Dorf, die wuchtige Messingtrommel zwischen zwei Stangen gespannt. Sie war so schwer, dass wir es eilig hatten, unser Ziel zu erreichen, folglich hasteten wir über den nebligen Platz, durch die Gassen zum Bach, über die Fußbrücke zu den Feldern und stolperten gefährlich durch die Furchen, an deren äußerstem Ende die Sägemühle auf uns wartete. Das Laub war nun gefallen und die Natur entblößt wie ein alter Mann, dem man die Stoppeln aus dem Gesicht barbiert hatte, so dass offenkundig wurde, welch grausames Spiel die Zeit mit ihm getrieben hat. Lieber Vater.
    So schnell liefen wir, und das Feld war so holprig, dass ich fürchtete, es könnte etwas überschwappen, als Frau Helga von der Flanke auf uns zustürmte. Im Galopp rannte sie an mir vorüber und wandte sich an Herrn Sumper, wobei sie irgendwie rückwärts lief und dabei tapfer mit einigen Briefen herumfuchtelte.
    »Weiter«, rief Sumper. »Weiter!«
    »Nein, die sind aus England.«
    »Weiter.«
    Percy, dachte ich, doch war ich buchstäblich an Herrn Sumper gebunden, also lief ich ›weiter‹, immer ›weiter‹, obwohl wir zusammen die Frau fast über den Haufen gerannt hätten.
    Sie sind von Binns, dachte ich. Mein Junge konnte das Warten nicht länger ertragen. Tot und einsam, und ich habe nicht einmal seine Lippen geküsst. Dann kamen wir zum Treidelpfad, und mit wildem Jubel schoss das Heilige Kind aus dem Gebüsch. Blitzende Augen, der Schrei zu schrill. Er wedelte seiner Mutter mit einem ermordeten Karnickel vor dem Gesicht herum, um dann vorauszulaufen, springend, tobend, hinkend, in der Linken mit den Schlüsseln klimpernd.
    Wir hasteten weiter. Lieber Gott, ich bin ein großer Narr,

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