Cherubim
murmelte der Stadtbüttel. Dann gab er sich einen Ruck, packte das Bündel fester, und zusammen mit dem Patrizier zerrte er es zu dem Schreingehäuse und bugsierte es in den schmalen Zwischenraum zwischen Reliquienschrein und Holzwand.
Als das Werk vollbracht war, blickte der Patrizier einen Moment lang ins Leere, bevor er sich besann, das Türchen wieder zudrückte und die beiden Schlösser verschloss.
»Das kann auf keinen Fall gottgefällig gewesen sein!« Der Büttel flüsterte, dennoch wurde seine Stimme vom Gewölbe der Kirche zurückgeworfen und vervielfachte sich zu einem unheimlichen, geisterhaften Gewisper. Erschrocken bekreuzigte sich der Büttel.
Der Patrizier grinste kalt. »Einer muss das Notwendige tun!«
Rasch schlug der Büttel ein zweites Kreuz. »Es ist Gotteslästerung!«
Der Patrizier starrte ihn finster an, doch dann zog er eine Grimasse der Entschlossenheit. Er packte den Büttel am Arm und zerrte ihn kurzerhand mit sich.
»He ...«, protestierte dieser, verstummte jedoch, als der Patrizier ihn vor das farbenprächtige Wandbild des Petrus-Altars stieß.
»Seht es Euch an!« Der Patrizier zischte die Worte. »Was sagt es Euch?«
»Ich weiß nicht, was Ihr meint«, wandte der Büttel zaghaft ein.
Der Patrizier deutete auf das Bild. Auf dem Altar darunter branntenzwei hohe Kerzen und rissen Einzelheiten der Malerei aus der Finsternis. Ein Mann auf einem Thron, der das Todesurteil über den Apostel Paulus aussprach. Eine Menge aufgebrachter Menschen, die erregt genau dieses Urteil forderten. Einer dieser Menschen trug einen seltsam flachen Hut. Auf ihn wies der Patrizier. »Das Bild soll uns eine Mahnung sein!«, rief er, und seine Worte hallten in der leeren und stillen Kirche wider wie das Klicken der beiden Schlösser. »Eine Mahnung, wie das Judenpack schon in alten Tagen dafür gesorgt hat, dass heilige Männer den Tod fanden!«
Der Büttel blickte den Patrizier an. Dann seufzte er schwer. Endlich nickte er. »Ihr habt recht!«
Der Patrizier schien zufrieden. Er kehrte dem Petrus-Altar den Rücken, kletterte über die Chorschranke zurück in den öffentlichen Teil der Kirche. »Seht zu, dass Ihr hier überall noch ein bisschen Weihrauch verbrennt«, befahl er dem Büttel. »Der Kerl hat wirklich bestialisch gestunken!«
Katharina Jacob erwachte, weil sie schwitzte, und es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass sie in ihrem Überkleid eingeschlafen war. Das Kaminfeuer war heruntergebrannt, aber die Glut verbreitete noch immer eine wohlige Wärme.
Sie schlug die Decke zur Seite und setzte sich auf. Ihr war ein wenig schwindelig, als habe sie gerade einen Aderlass hinter sich. Mit zusammengepressten Lippen blickte sie auf die feinen Narben an ihren Handgelenken. Zeichen dafür, wie oft früher diese Behandlung an ihr durchgeführt worden war.
In ihrem Mund lag ein pelziger Geschmack. Missmutig warf sie einen Blick aus dem Fenster. Gegenüber beim Fleischhaus brannten Fackeln. Durch die kleinen Butzenscheiben hindurch wirkte die wuchtige, hell erleuchtete Fassade des Gebäudes wie in tausend Splitter zerfallen. Katharina bekam plötzlich keine Luft mehr.
Sie stand auf, trat an das Fenster und stieß es mit einem heftigen Ruck auf. Gierig sog sie die klirrende Nachtluft ein. Es war bemerkenswert kalt für Anfang November, und fast schien es, als wolle die Natur einen Ausgleich schaffen für die glühende Hitzewelle, die Nürnberg im August in einen Taumel aus Wahnsinn gestürzt hatte.Nicht nur Katharina hoffte, dass mit der Hitze auch der Irrsinn vergangen war.
Sie atmete so tief ein und aus, wie sie konnte, und fühlte dabei, wie der Schweiß auf ihrem Leib trocknete. Sie stand noch einen Moment in der eisigen Nachtluft, und als sie zu frösteln begann, klärte sich auch ihr Kopf. Die Müdigkeit, die sie am späten Nachmittag überkommen hatte, schien fort zu sein.
Das Haus, in dem sie zusammen mit ihrer Mutter Mechthild wohnte, gehörte dem Stadtrat von Nürnberg. Es war aus einem Teil der alten Befestigung gebaut worden, die früher die Grenze zwischen Stadt und dem umliegenden Land gebildet hatte. Als Nürnberg wuchs, hatte man die neue Stadtmauer ein gutes Stück weiter westlich gebaut und den alten Gebäuden hier einen neuen Zweck gegeben. Sie dienten nun dem Henker von Nürnberg als Wohnung.
Katharina und ihre Mutter durften es zur Zeit benutzen, weil Bertram Augspurger, der Henker, Mechthilds Mann gewesen war. Er war im August ums Leben gekommen, und der Rat hatte
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