Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)
und leere Plastikflaschen. Der Boden war übersät mit Zigarettenstummeln. Im gemauerten Rauchabzug eines riesigen Herdes klaffte ein Loch: der Ausgangspunkt der akustischen Verbindung zwischen Erdgeschoß und ihrem Gefängnis. Chiara wunderte sich, dass keiner der Männer auf diesen Gedanken gekommen war. Andererseits – wenn sie die Kanister richtig deutete, bestand für sie kein Anlass zu besonderer Vorsicht. Auf einem alten Holztisch lagen Fotos, Karten und Filzschreiber zwischen gebrauchten Gläsern. Als Chiara die Papiere in die Hand nahm, erkannte sie, dass es sich nicht um Fotos, sondern um Farbausdrucke handelte. Screenshots von Satellitenaufnahmen von Google Maps. Sie zeigten ein Fußballstadion und seine Umgebung: Straßen, Parkplätze, Trainingsplätze, Wiesen, Felder, einige Häuser. Auf einem Ausdruck prangte nördlich des Stadions, am Südrand eines Ackers ein dickes X, mehrfach umringt und unterstrichen.
„Das Stadio Friuli“, las Chiara. „Von hier aus wollen sie es angreifen.“
Elena deutete auf einen ebenfalls markierten Stadtplan.
„Und auf dieser Strecke erreichen sie ihr Ziel.“
„Wenn das ihr Plan ist, warum haben sie ihn liegen gelassen?“ fragte Vanetti.
„Seit wir hier sind, herrschte ständiges Kommen und Gehen. Ich schätze, sie brauchen ihn nicht mehr.“
Elena entdeckte einen Teil eines Lederriemens, und zog eine Holzkiste unter dem Herd hervor.
„Unsere Taschen!“
Sie nahmen ihre Habseligkeiten an sich, während Chiara sie rasch über das informierte, was sie per Kamin bruchstückhaft mitbekommen hatte.
„Du hast sein Handy“, sagte Vanetti. „Warum rufst Du nicht die Polizei an? Sie sollen das Stadion räumen.“
„Die Geschichte vom A-Grav würden sie mir nicht glauben. Und wenn ich was von einer Bombe erzähle und sie das Stadion evakuieren, schlagen die Irren sofort zu.“
Sie hielt ihm das Telefon unter die Nase.
„Willst du es probieren?“
In dem Moment summte das Handy. Eine SMS. Chiara öffnete sie und las laut: „Start Countdown. Allah ist groß.“
Es war halb acht. Das Spiel der Serie A sollte um halb neun beginnen. Im unkrautüberwucherten Hof stand der Fiat Punto, verbeult und fleckig wie Fallobst. Chiara fand in dem Eimer, den sie noch immer mitschleppte, den passenden Schlüssel. Vom Küchentisch hatte sie eine Straßenkarte, den Stadtplan und das markierte Foto genommen. Außerdem einen Baseballschläger und ein altes Bleirohr aus dem Vorraum.
„Elena sitzt hinten“, bestimmte sie. „Ich fahre. Und du sagst mir den Weg an.“
Sie sah auf ihre Uhr. Noch 55 Minuten.
83___
Gemessen an seiner Nervosität machte Vanetti seine Sache gut. Nach zehn Minuten auf kaum befestigten Wegen erreichten sie eine ranghöhere Straße. Kurz darauf bestätigte ein Wegweiser nach Udine die eingeschlagene Richtung. Der Verkehr floss spärlich. Chiara jagte den Punto rücksichtslos durch die hereinbrechende Nacht.
„Was sie wohl mit Mike gemacht haben?“, fragte sich Elena laut.
„Sie hassen Amerikaner“, bemerkte Vanetti düster.
„Sie hassen alles, was nicht in ihre Schubladen passt“, sagte Chiara nüchtern. „Den Westen, Frauen, Freiheit, andere Meinungen ... Es sind sehr enge Schubladen.“
Elena hielt die Pistole des toten Aufpassers fest in ihren Händen.
„Das klingt so freundlich. Es sind beschränkte, brutale Gangster. Vollidioten. Und der eine von den Dreckskerlen braucht auf sein Martyrium bestimmt nicht mehr lange zu warten.“
Vanetti zuckte zusammen, sagte aber nichts.
84___
Sie näherten sich Udine von Westen kommend auf der Via Spilimbergo. Vanetti lotste sie durch einen Kreisverkehr, einen zweiten, dann unter der A23 durch auf die Via Floriano Candonio. Rechts sahen sie das erleuchtete Stadion, ein gestrandetes UFO, umgeben von voll besetzten Parkplätzen. Die Masse der Fans befand sich längst im Oval, Dutzende Nachzügler strebten aus allen Richtungen den Eingängen zu.
„Dort ist es!“
Er deutete nach links. Jenseits eines großen Parkplatzes war eine kleine Ansammlung von Bäumen zu erkennen, dahinter eine leere, dunkle Fläche, der Acker. Sie umrundeten den Parkplatz, der ein noch größeres Oval bildete als das Stadion.
„Jetzt rechts“, flüsterte Vanetti, als hätte er Angst, von den Gangstern gehört zu werden. „Hoffentlich haben sie das Auto nicht erkannt.“
„Einen alten Punto mitten im Verkehr auf diese Distanz? Bei Dunkelheit?“
Elena murmelte noch etwas dazu, das aber nicht bis zu den
Weitere Kostenlose Bücher