Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)
Vordersitzen drang. Sie entfernten sich wieder langsam vom vermuteten Standort der Attentäter. Als sie sich außer Sichtweite befanden, wendete Chiara und stellte den Wagen auf einem Feldweg ab, den üblicherweise die Traktoren benutzten, um auf den Acker zu gelangen. Das Wäldchen befand sich nun zwischen ihnen und dem Stadion, etwas mehr als 100 Meter entfernt.
„Gut“, sagte Vanetti mit frisch aufsteigender Panik in der Stimme. „Was machen wir jetzt?“
„Wir müssen verhindern, dass sie den A-Grav einsetzen.“
„Und wie?“
„Ganz einfach“, mischte Elena sich ein. „Wir schleichen uns von hinten an – die schauen jetzt alle zum Stadion – und legen sie um.“
„Oh Gott“, seufzte Guidos x-facher Urenkel. „Ich glaube nicht, dass ich das aushalte.“
„Wir müssen es versuchen“, entschied Chiara. „Und zwar jetzt.“
Sie bewegten sich entlang der Straße, auf der ersten Hälfte ihres Weges noch geschützt von einem dichten Saum aus Büschen und Sträuchern. Dann endete diese Barriere. Auf den restlichen 50 Metern stand nur vereinzelt schmächtiges Strauchwerk.
„Häng‘ dich bei mir ein und fuchtel nicht mit dem Rohr herum“, befahl Chiara. „Tu so, als ob du mit mir flirten würdest. Falls sie uns sehen sollten, brauchen sie uns wenigstens nicht gleich erkennen. Das Licht ist schlecht genug.“
Ernst tat, was sie ihm sagte und sie fühlte, dass er am ganzen Körper bebte.
„Wir schaffen das schon“, versicherte sie ihm leise. „Denk‘ nicht zu viel nach, handle einfach.“
Er bebte deshalb nicht weniger. Es wurden sehr lange 50 Meter. Nichts in dem dunklen Wäldchen ließ auf die Anwesenheit von Menschen schließen.
Was, wenn die Bande ihren Mordplan geändert, einen besseren Ort erkundet hatte? Dann blieb Chiara nichts übrig als zuzusehen wie Tausende Fußballfans durch ihre Schuld zu Tode kamen. Durch ihre Schuld? Ja, auch durch ihre. Sie hätte nicht zulassen dürfen, dass Toni seine verrückten Pläne in die Tat umsetzte. Sie hätte nicht nach Wien fahren, nicht in dieses irrsinnige Spiel mit Terroristen, Verbrechern und Geheimdiensten einsteigen dürfen ...
Sie erreichten den Rand des Wäldchens und duckten sich in seine schwärzesten Schatten. Chiara bemühte sich, nicht in das Licht der Straße und des Stadions zu blicken, um ihre Augen an das Dunkel zu gewöhnen. Nach einer Minute erhob sie sich und spähte hinter einem Baum hervor. Fast zum Angreifen nahe stand der BMW vor ihr. Und wenige Meter dahinter gewahrte sie ein vertrautes, schwaches Leuchten. Zwei Gestalten konnte sie beim A-Grav ausmachen. Sie stellte sich vor, wie sie fasziniert auf das Display starrten, in dem das Stadion bereits markiert sein mochte. Den dritten Mann sah sie nicht. Trotzdem mussten sie es jetzt versuchen. Sie bedeutete Elena und Vanetti, ihr zu folgen. Sie hatten den Vorteil der Überraschung auf ihrer Seite und den Umstand, dass der Geräuschpegel von Straße, Autobahn und Stadion hoch genug war, um ihre Schritte zu übertönen. In Summe also zwei Vorteile, wie Chiara nüchtern konstatierte. Die Nachteile: ihre Gegner waren skrupellose, bewaffnete Verbrecher, fanatisiert, ideologisiert und vermutlich gut für den Kampf ausgebildet. Und sie besaßen den A-Grav. Und Chiara wusste nicht, wo der dritte Feind steckte. Ein schlechter Zeitpunkt, um kleinmütig zu werden. Sie verscheuchte alle Zweifel als sie - nur mehr wenige Meter entfernt - das markierte Stadion auf dem Display erkannte, so wie sie es sich vorhin ausgemalt hatte. Jede Sekunde konnte die Katastrophe beginnen. Sie hob das Schlagholz.
Aber es war Elena, die ihren Peiniger trotz der Dunkelheit erkannte und laut und rau sagte: „Dreh‘ dich um, du Miststück!“
Abid reagierte augenblicklich. Unglaublich schnell wirbelte er herum und schoss im gleichen Moment wie Elena. Sie standen nur fünf, sechs Schritte voneinander entfernt. Aus dem Augenwinkel sah Chiara, dass beide getroffen wurden. Sie sprang nach vorn und traf mit dem Schläger Giannis Schulter. Immerhin lähmte sie damit seine rechte Hand, die vom A-Grav glitt. Er ließ sich zur Seite fallen, in der Absicht, ihr das Gerät mit der Linken entgegen zu schleudern. Das wäre auf die kurze Distanz ein kluger Schachzug gewesen, doch der A-Grav verharrte auf seinem Platz, frei in der Luft schwebend und dabei so ehern starr, dass Gianni aufschrie, weil sein Handgelenk seinem Körpergewicht nachgeben musste. Plötzlich stand Vanetti hinter ihm und klopfte schüchtern mit
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