Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)
dem Bleirohr gegen seine Schläfe. Es war ein gefühlvoller und zurückhaltender Schlag, aber doch immerhin ein Bleirohr. Gianni lag still . Chiara wollte zu Elena laufen, die auf die Knie gesunken war, sich aber noch aufrecht hielt. Da peitschte wieder ein Schuss in nächster Nähe. Fahed. Das Mündungsfeuer kam aus einem Baum, wo er mit einem Camcorder Position bezogen hatte. Auch Marketing für den Terror benötigt eindrucksvolle Bilder. Er schoss ein zweites Mal. Instinktiv hatte Chiara sich in Richtung A-Grav geworfen, der immer noch frei über dem Boden schwebte. Als er ihre Berührung fühlte, drehte er sich fast wie von selbst in Richtung des Baumes und schüttelte ihn. Oder bewegte Chiara ihn so rasch hin und her? Sie war sich nicht sicher. Wie eine Riesenfrucht wurde Fahed herab geschleudert. Es machte ein hässliches Geräusch, dann lag auch er still. Chiara und Vanetti stürzten zu Elena.
Sie kniete noch immer leicht schwankend auf dem feuchten Boden, von den Knien bis zum Kopf gerade wie ein Besenstiel. Arme und Hände baumelten leicht an ihren Seiten, als gehörten sie gar nicht mehr zu ihrem Körper. Vanetti nahm eine Hand, Chiara kniete sich neben sie, wagte aber nicht, sie zu umarmen. Etwas Schreckliches lag in der Luft, ganz nahe, doch sie wollte es nicht wahr haben.
„Ist das Schwein tot?“ Elenas Stimme war sehr leise, kaum zu verstehen.
Vanetti ging zu Abid, der regungslos auf dem Rücken lag, mit weit geöffneten Augen. Er fühlte nach seiner Halsschlagader.
„Er ist tot.“
„Dann ist er wenigstens vor mir gestorben“, hauchte sie. „Ich hab‘ zuletzt doch gewonnen.“
„Du stirbst nicht“, flehte Chiara. „Wir bringen dich ins Krankenhaus. Du musst durchhalten.“
Aber ihre Worte drangen nicht mehr bis in Elenas Bewusstsein.
„Grüß‘ Toni“, flüsterte sie. „Und all die Marios.“
Sie streckte plötzlich die Hände aus, als ob sie noch einmal jemanden an sich ziehen wollte. Dann strömte Blut aus ihrem Mund und sie sank zur Seite. Vanetti sprang hinzu und ließ sie sanft niedergleiten. Dicke Tränen rollten über seine Wangen. Da war es, das Schreckliche. Hartnäckig und nicht mehr zu vertreiben. Chiara glaubte, dass nun auch aus ihr alles Leben entweichen würde. Sie wehrte sich nicht dagegen, aber es geschah nicht. Elena, die lebenslustige, fröhliche, sorglose, leichtsinnige, liebenswerte Elena, fast mehr als eine Schwester, Elena war tot. Elena, die Kämpferin, war in ihren Pumps gestorben. Chiara vergrub ihr Gesicht zwischen den Händen. Obwohl sie in diesem Moment glaubte, sie könnte nun ewig hier sitzen bleiben bis sie endlich im Boden versank, schlugen im nächsten alle ihre Instinkte wieder Alarm. Sie rollte mit dem A-Grav zur Seite und blickte auf. Gianni war aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht und taumelte auf sie zu. Er ruderte mit den Händen und vergrub eine davon in seine Jacke. Wieder ein Schuss, ganz leise diesmal. Gianni stoppte jäh in seiner Vorwärtsbewegung. Er machte einige kleine Schritte zurück und schlug der Länge nach hin. Ganz automatisch richtete Chiara den A-Grav in die Richtung, aus der der letzte Schuss gefallen war.
„Nicht!“ rief eine vertraute Stimme halblaut. „Ich bin’s, Mike.“
Und da stand er. Schlank, lässig, elegant sogar nachts in diesem Wäldchen, das sich innerhalb von wenigen Minuten mit Tragödien angefüllt hatte bis weit über sein geringes Fassungsvermögen hinaus.
„Mike !“ stieß Chiara hervor . „Wo kommst du denn her?“
„Von dem Hof, in dem ihr gefangen wart. Da lagen ein Toter und ein paar Hinweise auf diesen Ort. Nun, jetzt bin ich da. Was ist geschehen?“
„Elena ist tot“, erwiderte Vanetti leise.
Donahue beugte sich hinab, betrachtete sie im Schein einer winzigen Taschenlampe.
„Ja.“ Er strich ihr übers Gesicht. Rasch überprüfte er die anderen Toten. Abid, der keine Frau mehr vergewaltigen würde, Fahed, der sich beim Sturz das Genick gebrochen hatte und Gianni.
„Sie hatten es auf das Stadion abgesehen und ihr habt es verhindert?“
Chiara nickte.
„Hatte Iwas damit zu tun?“
Das erschien ihr momentan grenzenlos unwichtig, aber Mike wartete auf eine Antwort.
„Ich habe ihn nicht gesehen“, sagte sie schließlich unwillig. „Doch ich glaube, ich habe seine Stimme erkannt.“
„Dann müssen wir rasch weg“, entschied Donahue.
„Was ist mit Elena?“ schrie Chiara. „Wir können Sie doch nicht liegen lassen.“
„Elena ist tot. Wir werden das auch bald sein,
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