Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)
Angst. Es ist Teufelszeug.“
„Dennoch, wir werden in die Geschichte eingehen.“
Dann berichteten Abid und Salih von ihrem Ausflug. Anscheinend hatten sie verschiedene Standorte für ihren Plan geprüft. Mehrmals verstand Chiara ‚Stadio‘. Wollten sie etwa mit dem A-Grav ein Stadion angreifen? Sie berieten, vermutlich über eine Karte gebeugt, lange die Vor- und Nachteile einzelner Plätze, immer wieder unterbrochen von Gianni, der seine großartigen Erfolge mit dem ‚Ding‘ ein ums andere Mal farbiger und leuchtender schilderte. Er erinnerte Chiara in diesem Punkt lebhaft an etliche Kollegen beim Studium und im Beruf und beinahe bewunderte sie die Fähigkeit ihrer männlichen Landsleute – oder aller Männer? – noch aus dem kleinsten Erfolg eine einzigartige Heldentat zu zaubern. Gelegentlich auch aus einem schlichten Misserfolg. Dann vernahm sie eine Frage, die alle Alarmglocken in ihr läuten ließ. Es lag am Tonfall, in dem sie gestellt wurde. Gemein und lüstern zugleich.
„Was meinst du, sollen wir unsere Gäste besuchen?“
„Wieso nicht?“
Es klang nach Salih. Fahed mischte sich ein.
„Lasst sie in Ruhe. Sie haben uns nichts getan.“
Und wieder die erste, lüsterne Stimme, jene Abids.
„Eben. Ich will ja, dass sie mir was Gutes tun.“
Erneut Fahed, mit aller Autorität.
„Genug jetzt! Geht schlafen. Wir haben eine Aufgabe. Gott will, dass wir sie erfüllen.“
Danach drang nur noch Gemurmel zu Chiara. Sie saß lange wach, schlief dann doch ein. Irgendwann in der Nacht schreckte sie hoch und lauschte minutenlang in die Dunkelheit. Manchmal glaubte sie, ferne, aufgeregte Stimmen zu hören. Aber es hatte heftiger Wind eingesetzt. Die vielfältigen Geräusche, die er dem Haus und den Bäumen abpresste, überlagerten alles andere.
80___
Die folgenden beiden Tage sollten sich als die endlosesten ihres Lebens erweisen. Absolute Höhepunkte waren die paar Sekunden, in denen Fahed frisch gefüllte Plastiktüten in ihre Zelle schleuderte. Auf ihre Fragen reagierte er nicht. Aus der Küche schnappte sie nichts Neues auf. Gianni gab noch ein wenig an, doch hatten die anderen anscheinend genug davon. Sie blieben äußerst wortkarg. Der BMW fuhr mehrere Male los und kehrte zurück. Auch ein alter Punto knatterte davon und kam spät wieder. Sie drang mit Hilfe der Holzpritsche bis zur Tür vor und untersuchte das Schloss, doch dem war mit Drahtstückchen nicht beizukommen. Die Tür war so stabil und massiv, wie sie aussah. Sie gab es auf.
Erst am Abend des Freitags geschah wieder etwas. Unten herrschte Bewegung und Aufregung. Ein fünfter Mann war eingetroffen. Die anderen nannten ihn Sidi. Als Chiara seine Stimme hörte, erstarrte sie. Sie hätte schwören können, dass es sich bei dem Besucher um niemand anderen handelte als den Mann mit der bestickten Kappe, den sie halb betäubt in Vanettis Wohnung zurück gelassen hatten. Ibrahim Iwas, der syrische Terrorpate, wie Donahue behauptete. Donahue. Sie wünschte, dass Mike wieder so unvermittelt und wirksam auftauchte wie vor einigen Tagen in Wien. Aber diesmal musste er wohl um sein eigenes Leben kämpfen. Falls er noch darum kämpfen konnte ...
Sidi trat sehr schroff auf, ungeduldig und herrisch. Faheds Tonfall wirkte dagegen unterwürfig.
„Morgen Abend ist es so weit. Mindestens 30.000 werden erwartet. Wir stehen hier. Abid, Gianni und ich. Es herrscht freie Sicht. Falls nötig, kann man auf einen Baum klettern.“
„Wann genau?“
„Um halb neun beginnt das Spiel. Es werden schon zuvor die meisten Menschen im Stadion sein, wir könnten um viertel nach acht ...“
„Nein!“ unterbrach Iwas. „Es muss während des Spiels passieren. Die Fernsehkameras müssen laufen. Sie werden Bilder liefern für die ganze Welt. Und dann müsst ihr das Gerät in Sicherheit bringen.“
„Wenn ich das Ding in meinen Händen habe, kann uns niemand besiegen“, sagte Gianni voll Stolz.
„Du bist ein Idiot!“ versetzte Iwas scharf. „Es macht dich nicht unverwundbar. Ihr müsst möglichst schnell weg nach dem Anschlag.“
„Hierher?“
„Ja, zunächst. Wir dürfen nicht übereilt handeln. Es gibt größere Zusammenhänge, vielleicht Komplikationen ... Die Gefangenen sind hier?“
„Ja“, erwiderte Fahed.
„Das ist gut. Man kann nicht wissen, was noch kommt. Einer von euch bleibt und bewacht sie.“
Salih mischte sich erstmals ein.
„Was ist mit dem verdammten Amerikaner geschehen?“
„Das ist nicht eure Sache. Vergesst, dass ihr
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