Chiemsee Blues: Hattinger und die kalte Hand (German Edition)
sein Handy aus der Jacke. Er wählte ...
Er konnte das Läuten bis hier herunter auf die Straße hören.
Während Mias Anrufbeantworter seinen Anruf entgegennahm, immer noch mit demselben blöden Spruch, ging Mia oben am Fenster auf Bertram Meier zu.
Sie legte die Arme um seinen Hals ...
Sie küsste ihn wieder ... dieses Mal sehr lang ...
Als Hattinger sein Handy wieder zuklappte, rutschte ihm die Flasche unter dem Arm weg und zerschellte mit lautem Klirren auf dem Pflaster. Ein kurzes Aufschäumen noch, dann war wieder Ruhe.
„Scheiße! Kruzifix no amoi!, fluchte er in die Stille.
Die beiden oben am Fenster spähten kurz hinaus in die Dunkelheit und sahen einen Mann weggehen. Dann wendeten sie sich wieder interessanteren Dingen zu.
„Leckts mi doch am Arsch.“
Hattinger machte noch mal kehrt und schob schnell mit den Füßen die Scherben in einen Gulli. Dann setzte er sich ins Auto und fuhr los Richtung Wasserburg.
Er hatte offensichtlich kein Glück mit Schampus.
8
Ostersonntag
Am Sonntag bekam der Fall schon fast so etwas wie Routine. Wenn man die Reihe der bisherigen Funde von Leichenteilen logisch fortsetzte, wie zum Beispiel in den Reihen, die in Intelligenztests vorkamen: Zwei, drei, fünf, sieben, elf... Führe die Reihe fort, was jeden halbwegs intelligenten und mathematisch nicht völlig unbegabten Menschen auf die Reihe der Primzahlen und folglich als nächstes Glied der Reihe auf die dreizehn bringen würde, dann war eigentlich klar, was in der Reihe: Hand, Hand, Fuß ... als nächstes folgen würde.
Und genau so kam es auch: Gegen sechs Uhr wurde im Morgengrauen des Ostersonntags in Gstadt am Chiemsee der noch fehlende zweite Fuß der Frauenleiche entdeckt, am Ende eines Dampferstegs, von einem älteren Ehepaar, das die senile Bettflucht bereits um diese unchristliche Zeit zu einem Spaziergang hinausgetrieben hatte. Möwen, die ebenfalls schon früh unterwegs waren, hatten ihm allerdings etwas zugesetzt, so dass er nicht so hübsch aussah wie der andere. Wahrscheinlich war es ein Glück, dass er überhaupt noch da war und nicht aufgefressen oder ins Wasser gezerrt worden war. Wie auch immer, man musste inzwischen wohl davon ausgehen, dass der Verteiler der Leichenteile ein logisch vorgehender Mensch war, oder zumindest ein Pedant. Außerdem schien er sich wirklich geschickt und unauffällig zu bewegen, denn auch dieses Mal hatte niemand irgendetwas bemerkt von der Deponierung des Fußes.
Haller und Körbel hatten zwar sofort damit begonnen, alle Gäste der umliegenden Hotels und Pensionen und deren Personal zu befragen, und das waren nicht wenige, denn ganz Gstadt bestand fast nur noch aus Hotels und Pensionen und Restaurants und Cafés. Alles was auch nur einigermaßen in Seenähe lag, war von einstmals schlichten, stilvollen bayerischen Landhäusern zu monströs aufgeblähten pseudobajuwarischen Wohnsilos aufgebrezelt worden, damit nur ja kein Euro an den Besitzern vorbeiginge. Aber der Täter schien wohl noch im Schutz der Dunkelheit gekommen und auch wieder verschwunden zu sein.
„Was hat der eigentlich vor? So a Art Schnitzeljagd um an Chiemsee rum, oder was?“
Hattinger winkte die Bedienung herbei und bestellte noch einen großen Cappuccino und eine Flasche Mineralwasser: „Mit Sprudel und eiskalt, wenn’s geht.“
Er wirkte ziemlich angegriffen an diesem Morgen. Letzte Nacht hatte er sich daheim sträflicherweise die Kante gegeben und einige Weißbiere vernichtet, um den Frust über Mia und ihren halbseidenen Gitarrenheini zu ertränken.
Was der Typ kann, kann ich schon lange, dachte er, und nach dem zweiten Weißbier befreite er seine „Black Beauty“ – eine schwarze Gibson Les Paul Custom, Baujahr 1977, die er vor langer Zeit in San Francisco erworben hatte, endlich mal wieder aus ihrem weinrot samtgepolsterten Gitarrenkoffer. Sie war wirklich eine klassische Schönheit, und allein der Koffer war schon zum Reinlegen ...
Er durchforstete seine umfangreiche Plattensammlung, auf die er ziemlich stolz war. Schallplatten, jawohl, so runde dunkelschwarze Scheiben mit einem Loch in der Mitte, wie der Karl Valentin gesagt hatte. Leicht zersetzbar, voll analog und saugeiler Sound, mit einer vernünftigen Anlage. Dafür hätte er auf jeden MP3-Player verzichtet. Schließlich zog er die „After Math“ von den Rolling Stones aus dem Regal, legte sie auf und begann mit Kopfhörern in amtlicher Lautstärke zu „Under My Thumb“ und „Goin Home“ zu jammen.
1966. Wahnsinn!
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