Chill mal, Frau Freitag
transportiert (dafür eignen sich Sammelmappen mit Gummibändern an den Ecken), und dann eventuell eine Fachzeitschrift, die man sich bestellt, nie liest, aber aus schlechtem Gewissen tagelang mit sich rumträgt, ein schrottiger Roman, für dessen Titelbild man sich im Bus schämt, der einem aber dabei helfen soll, sich nach der Schule geistig von der Arbeit zu entfernen. Klappt bei mir allerdings nur bedingt, denn ich lese gerne Geschichten über die missglückte Integration von muslimischen Einwandererkindern in der vierten Generation.
Und wenn ich mir den Boden meiner Tasche näher betrachte, kommen da noch ganz unnütze Dinge zutage: Eine Schere und ein Klebestift, die Einladung zur Gesamtkonferenz vom letzten Sommer, eine Tüte Gummibänder, die ich Emre abgenommen habe, Sonnencreme und ein altes T-Shirt, Kaugummis, deren Verpackung bereits zerfetzt ist und die nun ganz dreckig und ungenießbar sind. Der Boden meiner Tasche ist übersät mit Radiergummistücken, TicTacs, Magneten und Büro klammern. Diese Sachen schleppe ich jeden Tag von meiner Wohnung in die Schule, und dabei hängt der Riemen der Tasche immer über meiner linken Schulter. Komischerweise tut mir der Rücken auch immer auf der linken Seite weh. Ich werde den Gedanken nicht los, dass es zwischen meiner schweren Schultasche und meinem kaputten Rücken einen Zusammenhang gibt. Doch was soll ich mit dieser Einsicht anfangen?
Ich könnte die Tasche regelmäßig ausleeren und wirklich nur das Wichtigste mitnehmen. – Scheitert wahrscheinlich daran, dass ich es einfach nicht machen werde.
Ich könnte die Tasche mal eine Weile auf die andere Schulter hängen. – Scheitert daran, dass ich das schon mal versucht habe und die da immer runterrutscht, weil ich schon so schief bin, dass die rechte Schulter eigentlich nicht mehr da ist.
Einen Rucksack kaufen. – Oh, Gott! Oh, nein! Scheitert auf jeden Fall an dem Wort RUCKSACK!
Den Beruf wechseln. Es gibt ja viele Berufe, in denen man nichts mit zur Arbeit nehmen muss. Busfahrer, Bäcker, Politiker (obwohl, die Akten und so?), Verkäuferin oder Supermodel (da braucht man sich noch nicht mal die Haare zu machen, das machen ja alles die Make-up- und Hair-Stylisten).
Ich könnte auch in die Schule ziehen, dann bräuchte ich meine Sachen nicht mehr von hier nach da zu transportieren. – Scheitert wohl an: »Wenn das alle machen würden …«
Einen Rollkoffer in Miniformat kaufen. So tun, als wäre ich Stewardess, und das Teil lässig hinter mir herziehen. – Wird daran scheitern, dass ich mich mit dieser Art Gepäck nicht auskenne. Diese Köfferchen verkauft man wahrscheinlich nur an Stewardessen.
So weitermachen wie bisher und in ein paar Jahren mit Bandscheibenvorfall in Frührente gehen.
Ich weiß ja, dass es diese Lehrerrolltaschen gibt, aber ich bin doch kein Pilot. Und einen Rucksack kann ich auch nicht nehmen – ich bin doch kein Schüler. Ich kann doch nicht wie die plötzlich mit einem schwarzen Eastpack ankommen. Und wenn, dann würde ich den doch auch wieder auf nur einer Schulter tragen.
Früher war das alles leichter. Wir sind mit Plastiktüten zur Schule gegangen. Aber das musste schon eine coole Tüte sein. Nicht Aldi oder Edeka oder so was Nichtiges. Nein, mindestens ein angesagter Plattenladen oder eine Tüte aus einem Comic laden oder einem coolen Klamottengeschäft. Wenn die Tüte sich dann langsam auflöste, wurde sie mit Tesa geklebt und nach einer neuen Ausschau gehalten. Neulich habe ich mir Christiane F. ausgeliehen – die mit den Kindern vom Bahnhof Zoo –, und in dem Film ist sie auch immer mit einer Plastiktüte rumgerannt. Vielleicht war das bei uns damals auch so ein Junkiestyle.
Oder ich mache es wie meine Schülerinnen und Schüler: Die Mädchen haben nur Handtaschen – die müssen ja auch nur ihr Schminkzeug und ihr Handy transportieren – und die Jungen bringen gar nichts mit. Nur einen Kugelschreiber, in der Hosentasche.
Aber neben dem kaputten Rücken lauern im Lehrerberuf noch diverse andere körperliche Gefahren. Sind Hormone eigentlich ansteckend? Das kann doch nicht gesund sein, wenn man täglich so vielen jugendlichen Hormonen ausgesetzt ist. Haben eigentlich alle Ethnien ähnlich starke Hormonausschüttungen in der Pubertät oder pubertiert der Mitteleuropäer hormonell weniger stark als der Südeuropäer? Was passiert in Afrika, am Nordkap und in Asien? Ist uns der Nahe Osten auch in dem schwierigen Alter zwischen zehn und achtzehn wirklich so nah?
Und was
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