Chill mal, Frau Freitag
und Katastrophen, die uns täglich auf der Arbeit begegnen, SIND unsere Arbeit. Das muss ich einfach mal einsehen. Meine Arbeit beginnt nicht erst, wenn ich in der Klasse den Idealzustand hergestellt habe, der eigentlich eine Illusion ist, den ich nie erreichen werde. Seit Jahren renne ich – und wahrscheinlich der größte Teil meines Kollegiums – der Vorstellung hinterher, dass wir uns nur richtig anstrengen müssten, dann hätten wir schon irgendwann eine liebe ruhige Klasse vor uns sitzen, die unbedingt etwas lernen will. Da wir – egal, was wir auch versuchen – diese Traum-klasse nie vorfinden und die vorhandenen Schüler nie zu dieser Streber-Truppe machen können, sind wir täglich frustriert. Anstatt jetzt pragmatisch zu sein und zu sagen: »So sind unsere Schüler eben, und nun müssen wir das Beste draus machen«, denken wir ständig: »Wieder keiner die Hausaufgaben gemacht, die müssen erst mal auf Spur gebracht werden, die werden immer schlimmer.«
Fräulein Krise sagte mir schon vor Jahren: »Wir können uns die Schüler nicht backen und müssen eben mit dem arbeiten, was wir bekommen.« Das heißt natürlich nicht, dass wir nicht täglich versuchen sollten, ihnen so viel wie möglich beizubringen. Aber wir sollten aufhören zu glauben, dass erst einmal eine Art Idealzustand hergestellt werden müsste. Wenn ich mich daran halten und die Schüler so sehen würde, wie sie wirklich sind, mit all ihren Defiziten, aber auch ihren Kompetenzen, dann würde ich wahrscheinlich sehr viel zufriedener nach Hause gehen.
Ein Lehrer, der an einer gut funktionierenden Schule arbeitet, geht selbstverständlich davon aus, dass ihm täglich Schüler gegenübersitzen, die etwas erreichen wollen und deshalb willens sind, etwas von ihm zu lernen. Ich sollte eigentlich wissen, dass wir an unserer Schule nur sehr wenige Schüler mit einer solchen Einstellung haben, und trotzdem gehe ich jeden Tag zur Schule, stelle mich da vorne hin und denke: So, nun bringe ich euch was bei – und bin dann immer wieder überrascht, wenn sie darauf keinen Bock haben. Ein Arzt erwartet doch auch nicht, dass plötzlich nur noch gesunde Leute in seinem Wartezimmer sitzen.
Super, ich glaube, ich bin gerade einen Riesenschritt in Richtung totale Glückseligkeit gegangen. Mit dieser neuen Erkenntnis entferne ich mich außerdem kilometerweit vom drohenden Burn-out. Ich werde die Schüler einfach so sehen, wie sie sind und dort abholen, wo sie sind. Keine falschen Vorstellungen mehr! Die sind nicht die Elite des Bildungssystems! Werden sie auch noch lange nicht sein. Ihre Verpeiltheit liegt nicht an mir. Meine Arbeit ist eine ganz andere als die in Salem. Nicht besser oder schlechter, sondern einfach anders. Wenn ich das wirklich verinnerlicht habe, dann dürfte doch eigentlich nichts mehr schiefgehen. Damit hätte ich die psychischen Aspekte des Burn-outs gebannt. Aber was ist mit den körperlichen Gebrechen?
Heule, heule, Wirbelsäule
Ich habe, seit ich denken kann, einen kaputten Rücken. Bucklig gekrümmt krepele ich durch mein Leben. Jeder Arzt stellt, mit einer mir nicht nachvollziehbaren Genugtuung, immer wieder fest, dass sich meine Wirbelsäule wie ein schräges Fragezeichen verbogen hat, und fragt, ob das nicht wehtun würde. Ja, verdammt, das tut weh. Und wie das wehtut!
Seit Jahren liege ich abends auf dem Boden und mache uncoole Wirbelsäulengymnastik. Aber das kratzt die Wirbelsäule überhaupt nicht. Biegt sie sich wieder zurück? Nein, sie denkt gar nicht dran. So geht das seit Dekaden. Und dann werde ich plötzlich Lehrerin. (Kaum vorstellbar, aber ich glaube, ich bin gar nicht als Lehrerin geboren, sondern bin es irgendwie geworden. Wenn die Schüler mich fragen, warum ich diesen Beruf gewählt habe – für sie ist diese Berufswahl ja überhaupt nicht nachzuvollziehen – dann sage ich immer: »Das war eine Aneinanderkettung von so unglaublichen Zufällen, das könnt ihr euch gar nicht vorstellen.«)
Als Lehrerin muss man jeden Tag von zu Hause in die Schule kommen und dabei Sachen mitnehmen. Diese Sachen transportiert man in einer Tasche. Und die ist manchmal ziemlich schwer. Warum eigentlich? Was schleppe ich denn da jeden Tag mit mir rum?
Das sind zum Beispiel so wichtige Dinge wie Notenheft, Kalender, Federtasche (die man eigentlich nicht braucht, da ein Kugelschreiber reichen würde), dann Hefter, in denen man die Kopiervorlagen und die von den Kindern angefertigten und von mir korrigierten Schrifterzeugnisse
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