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Chill mal, Frau Freitag

Titel: Chill mal, Frau Freitag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frau Freitag
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er aus wie ein Schüler. Wie abgeranzt der Rucksack ist. Der hält sich ähnlich krumm wie ich. Die Schuhe tragen auch nicht gerade zur Autoritätsverstärkung bei.
    »Wenn ich so spät dran wäre, würde ich aber rennen«, sage ich zu einer Kollegin, die mir nicht so richtig zuhört. Ich hole mir einen Kaffee und setzte mich mit irgendwelchen unwichtigen Formularen an einen Tisch. Na, der wird doch nach der Stunde wieder ins Lehrerzimmer kommen, die paar Minuten kann ich auch noch warten.
    Und tatsächlich, beim Klingeln steht er leicht verwirrt vor mir. »Setz dich doch. Hast du deinen Kurs noch gefunden?« Er nickt und erklärt mir, wo die Schüler waren. Langweilig!
    »Und, wie läuft’s so?«, frage ich. Es soll sehr beiläufig klingen, deshalb sehe ich gar nicht von meinen Formularen auf. Er erzählt, dass es bei den Zehnten ganz gut geht. Glaube ich ihm nicht. Allerdings hätte er in der 9. Klasse Probleme. Glaube ich ihm sofort. Er vermutet, dass es daran liegt, dass die Klassenlehrerin krank ist und schon länger fehlt. Ich weiß, dass es überhaupt nicht daran liegt. DAS LIEGT GANZ ALLEIN AN DIR! Das bekommst du nie hin. Und das ist nur der Anfang. Die werden dich fertigmachen. Die lassen kein Stück heile an dir.
    »Hmmm, kann sein«, nuschele ich.
    »Da sind einfach welche drin, die immer wieder stören. Die scheinen gar kein Interesse am Unterricht zu haben …« Es folgen endlose Tipps und Vorschläge von mir, die ich selbst nie anwende und die ihm wahrscheinlich auch nichts nützen werden. Er hört sich alles ganz genau an. Fragt nach. Überlegt. Mittlerweile kommen Kollegen und mischen sich ein. Die Geschichtslehrerin meiner Klasse kommt auf mich zu. Ich referiere gerade wieder über Konsequenz, klare Regeln und Ähn liches, da unterbricht sie mich: »Frau Freitag, deine Klasse – UNMÖGLICH! Unterricht ist mit denen nicht zu machen. Die spinnen. Ich halte das nicht mehr aus. Ich schreibe jetzt sofort Briefe an die Eltern.«
    »Hm, mach das.« Dann wende ich mich wieder meinen Formularen zu, die anderen Lehrer verziehen sich. Der Neue sitzt mir gegenüber und denkt über irgendwas nach.
    »Was machst du eigentlich am Montag, am Wandertag?«, wechsele ich geschickt das Thema. »Ach, ich weiß nicht.« Es ist Freitag, 13 Uhr. Er weiß noch nicht, wo er am Montag mitgehen soll! Tickt der noch ganz sauber? »Na, da musst du dich doch drum kümmern!«, sage ich mit leicht strengem Unterton und gehe mit ihm zu den Listen. »Guck mal, hier sind alle Klassen. Du suchst dir am Besten eine aus, in der du auch unterrichtest.« Er nickt. Bevor ich gehe, stelle ich zufrieden fest, dass er mit einem Kollegen einen Treffpunkt für Montag verabredet.
    Im Bus denke ich: Was ist mit mir los? Wäre das so schlimm für mich gewesen, wenn der am Montag frei gehabt hätte? Warum freut sich ein Teil von mir, wenn das Unterrichten bei ihm nicht klappt? Vielleicht sollte ich mal eine Therapie machen. Therapeut ist ja eigentlich auch ein geiler Job – da kommen jeden Tag Leute, du hörst dir deren Probleme an und bekommst auch noch Geld dafür. Das könnte mir auch gefallen.
    Aber Aberglaube gehört dazu!
    Als Lehrer ist man ja auch ein Stück weit (typisches Lehrervokabular) Bürokrat. Ich hefte alles in Leitzordnern ab. Eine schöne Sammlung Klassenlisten habe ich auch schon. Jede Klasse, die ich in meinem Leben unterrichtet habe, befindet sich in einer Klarsichtfolie in einem Ordner mit der Aufschrift »Amtliches«. Man weiß ja nie. Vielleicht werde ich mal zu einem Klassentreffen eingeladen, und dann wäre es peinlich, wenn ich die Namen der Schüler nicht mehr kenne.
    Außerdem pflege ich seit Jahren die Hoffnung, irgendwann meine Schüler im Fernsehen wiederzusehen: »Yunus A. – Wolfsburgs neue Hoffnung«, »Samira, willkommen im Band-Haus« oder »Der bildungspolitische Sprecher der Grünen Hakan Ü. sagte gestern …«. Nur hoffentlich heißt es nicht: »Der türkischstämmige Emre B. erschoss gegen 22 Uhr seine Schwester Aylin vor ihrem Elternhaus. Sie wollte mit ihren Freundinnen eine Diskothek besuchen.«
    An eine Stunde in einer bestimmten 10. Klasse kann ich mich besonders gut erinnern. Ich komme in den Raum und die Schüler sind ganz aufgeregt. Einige Mädchen, aber auch ein paar Jungen wirken leicht hysterisch. Alle reden durcheinander. Mit dem Unterricht zu beginnen, ist nicht möglich. Pädagogisch geschult fällt mir sofort der Satz »Störung geht vor« ein.
    »Sagt mal, was ist denn hier eigentlich

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