Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
Whittler mit ihr anstellen würde, wenn er sie erwischte. Er würde es nicht dabei belassen, sie ins Gefängnis zu bringen, und sich auf seine Weise an ihr rächen, sie vielleicht sogar umbringen. Whittler war alles zuzutrauen.
Ohne weiter über die tödliche Gefahr nachzudenken, in die sie sich mit ihrer Entscheidung begab, fuhr sie los. Den Kopf gegen die wirbelnden Flocken gesenkt, lenkte sie die Hunde am Waldrand entlang. Über einen leicht abschüssigen Hang ging es nach Nordwesten, in die dunklen Wolken, die wie bedrohliche Schatten über den Ausläufern der Berge hingen. Billy blickte sich erstaunt um, wollte sichergehen, dass sie auch tatsächlich den schwierigsten Weg nehmen wollte, bis er ihr eindringliches »Go! Go! Go!« vernahm. »Es geht nicht anders, Billy! Er darf uns nicht erwischen! Lauft, ihr Lieben!«
Im Schatten der Bäume war sie einigermaßen vor dem böigen Wind geschützt, und auf dem Hang lag der Schnee nur knöcheltief, dennoch fiel es ihr schwer, den Schlitten in der Spur zu halten. Alle paar Schritte rutschte er auf dem vereisten Untergrund ab, und es war nur den Hunden zu verdanken, dass sie nicht den Hang hinunterglitten. Sobald die Kufen rutschten, verstärkten sie ihre Bemühungen und hielten den Schlitten durch ihr verstärktes Tempo oben. Clarissa versuchte, sie durch geschicktes Verteilen ihres Körpergewichtes zu unterstützen, sprang jedes Mal, wenn der Schlitten nach rechts abdriftete, vom Trittbrett, lief einige Schritte und schob mit, während sie die Hunde ständig anfeuerte.
Sie sah nicht zurück, richtete die Augen stets nach vorn und ging ein so schnelles Tempo wie möglich. Wie ein kleines Boot, das in eine reißende Strömung geraten war, schlingerte der Schlitten dahin, und sie fühlte sich an die Fangfahrten mit ihrem Vater erinnert, wenn ihr Fischkutter bei aufgewühlter See ins Schlingern geraten war. Der Schnee, der ihr ununterbrochen entgegentrieb, war genauso schlimm wie der Regen, den sie vom Meer kannte, nur dass sie hier die Hunde hatte, deren Augen noch schärfer und klarer waren und ihr halfen, die beinahe unlösbare Aufgabe zu meistern.
Doch die Fahrt über den abschüssigen Hang am Waldrand bot erst einen Vorgeschmack von dem, was sie auf der windumtosten Ebene am Ende des Waldes erwartete. Ein weites Tal, das sich zwischen den Bäumen und großen Felsen ausbreitete, die sich am Fuße eines mächtigen Berges erhoben und nur schemenhaft zu erkennen waren. Im äußersten Westen und im Osten wurde die Ebene von Wäldern begrenzt, so weit entfernt, dass die Bäume den Wind nicht aufhalten konnten und er ungehindert über den harten Boden blies. Wenn sie nicht umkehren wollte, blieb ihr nichts anderes übrig, als die Herausforderung anzunehmen und die eisige Ebene zu überqueren.
Sie zögerte nur kurz, bevor sie die Hunde in den Wind lenkte, entschied nach kurzem Überlegen, sich bis zu den Felsen vorzukämpfen und in deren Schutz den Waldrand zu erreichen. »Heya! Giddy-up!«, feuerte sie die Huskys an und schob ein paar Mal mit dem linken Fuß an, um ihnen ihre Entschlossenheit zu zeigen. »Wir müssen da durch, Billy! Ich weiß, dass ihr das schafft! Ihr seid die besten Huskys der Welt! Lasst mich bitte nicht im Stich!«
Mit grimmiger Zufriedenheit registrierte sie, wie entschlossen die Hunde den Kampf aufnahmen. Mit aufgestellten Ohren, die Schnauze mutig im Wind, verließen sie den Schutz der Bäume und rannten auf die weiße, scheinbar endlose Ebene. Jetzt zeigte sich, welche Kraft in ihnen steckte und wie durchtrainiert sie waren. Es zahlte sich aus, dass Alex ständig mit ihnen unterwegs war und sie auch im Sommer laufen ließ, damit sie nicht zu viel Fett ansetzten und immer in Hochform waren. Nicht selten hing das Leben eines Fallenstellers von seinen Hunden ab, und er war darauf angewiesen, dass sie die Arbeit verrichteten und ihn vor schwierigen Situationen bewahrten. Jetzt war es Clarissa, die auf sie angewiesen war und sich in ihre Hände begab.
Der Wind schlug ihnen mit eisiger Faust entgegen, hinderte sie sekundenlang daran, auch nur einen Schritt vorwärtszukommen, obwohl sich die Hunde mit ihrer ganzen Kraft in die Geschirre stemmten und sie sogar vom Trittbrett sprang und keuchend schob. Der Berg, der sich hinter den Felsen erhob, war ein zorniger Riese, der sie scheinbar mit aller Macht daran hindern wollte, die andere Seite zu erreichen, und sie mit seinem frostigen Atem von der Ebene blasen wollte. Jaulend peitschte ihnen der Wind
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