Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
Vom Netzwerk:
du hast ihn entkommen lassen!«
    Wolf klemmte den Schwanz ein und suchte blitzschnell Schutz hinter Fin-Kedinns Rücken, der gerade ein Feuer erweckte.
    »Jetzt hör schon auf, Torak!«, rief Renn.
    »Aber er war so dicht dran.«
    »Ich weiß. Trotzdem kann er nichts dafür. Es war meine Schuld!«
    Er wandte sich ihr mit einem Ruck zu.
    » Ich habe Wolf gerufen«, erklärte Renn. »Deswegen hat er Thiazzi entkommen lassen.« Sie öffnete die Hand, in der die kleine Hühnerknochenpfeife lag, die Torak ihr vor zwei Sommern geschenkt hatte.
    »Warum hast du das getan?«, fragte er barsch.
    »Ich habe mir Sorgen um Wolf gemacht. Und dir … dir war er ja offensichtlich egal.«
    Diese Bemerkung fachte seine Wut noch mehr an. »Wie kannst du so was sagen! Natürlich ist Wolf mir nicht egal.«
    Hinter Fin-Kedinns Rücken ließ Wolf die Ohren hängen und wedelte unschlüssig mit dem Schwanz.
    Mit einem Mal überkam Torak das schlechte Gewissen. Was war nur mit ihm los?
    Wolf war so freudig in ihr Lager gesprungen und hatte Torak stolz berichtet, dass er die Fährte des Gebissenen prompt verlassen hatte, als er den Pfiff vernahm. Toraks Wutausbruch hatte ihn völlig verstört. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was er verkehrt gemacht hatte.
    Torak sank auf die Knie und stieß winselnd-grunzende Laute aus. Wolf lief auf ihn zu und Torak vergrub das Gesicht in dem dichten Fell. Tut mir leid . Wolf schleckte ihm zärtlich über die Ohren. Ich weiß.
    »Was ist nur mit mir?«, murmelte Torak.
    Fin-Kedinn, der den Zwischenfall nicht beachtete, schickte ihn los, um Wasser zu holen, und Renn beschränkte sich darauf, ihn wütend anzustarren.
    Torak schnappte sich den Wassersack und rannte zum Flussufer.
    In der vergangenen Nacht und am heutigen Morgen waren sie den Elchfluss hinaufgefahren und hatten sich nur kurze Ruhepausen gegönnt. Nun befanden sie sich in der Nähe der Wasserfälle, dort, wo Breitwasser und Schwarzwasser tosend ineinanderstürzten. Unterwegs waren sie zweimal Jägern begegnet, die einen auffällig großen Mann gesehen hatten, der flussaufwärts paddelte.
    Er schlüpft uns durch die Finger, dachte Torak, ließ sich auf einem Baumstamm nieder und starrte finster ins Wasser.
    Es war ein stürmischer Tag. Der Wald schien mit sich selbst nicht im Reinen zu sein. Ein verlassenes Elchkalb blökte kläglich, zwei Hasen lieferten sich im abgestorbenen Schilf am gegenüberliegenden Ufer einen erbitterten Kampf mit den Vorderpfoten.
    Plötzlich stieg Torak schwacher Rauchgeruch und der appetitanregende Geruch von Flachkuchen in die Nase. Obwohl er hungrig war, brachte er es nicht über sich, zu den anderen zu gehen. Er fühlte sich wie von ihnen abgeschnitten, als wäre er hinter einer unsichtbaren Mauer gefangen, undurchdringlich wie Mittwintereis. Er musste ständig an Saeunns Prophezeiung denken. Vielleicht hatte Renn ja recht und Thiazzi lockte sie in eine Falle? War er gerade dabei, seinen Ziehvater in den Tod zu führen?
    Wie auch immer – er hatte keine andere Wahl, als weiterzusuchen.
    Wolf kam angetrabt und ließ Torak einen Stock vor die Füße fallen. Ein Geschenk.
    Torak hob den Stock auf und drehte ihn in der Hand.
    Du bist traurig , sagte Wolf und zuckte mit einem Ohr. Warum?
    Der Bleichpelz, der nach Fischhund riecht , gab Torak in der Wolfssprache zurück. Ohn-Hauch. Der Gebissene hat ihn getötet.
    Wolf rieb seine Flanke an Toraks Schulter und Torak lehnte sich gegen ihn, spürte das warme, beruhigende Fell.
    Du jagst den Gebissenen , sagte Wolf.
    Ja , sagte Torak.
    Weil er böse ist?
    Weil er meinen Rudelgefährten getötet hat.
    Wolf sah zu, wie eine Libelle über die Wasseroberfläche surrte. Und wenn der Gebissene Ohn-Hauch ist – atmet der Bleichpelz dann wieder?
    Nein , sagte Torak.
    Wolf legte den Kopf schief und die bernsteinfarbenen Augen musterten Torak verwirrt. Dann – wieso?
    Darum, wollte Torak antworten, ich muss Bale rächen. Doch er wusste nicht, wie er das in Wolfssprache ausdrücken sollte, und selbst wenn es ihm gelänge, würde Wolf ihn wahrscheinlich nicht verstehen. Vielleicht nahmen Wölfe keine Rache.
    Torak hatte seit jeher gewusst, dass es Unterschiede zwischen ihm und Wolf gab, aber Wolf konnte das offenbar nicht begreifen. Mitunter war er zutiefst enttäuscht, wenn Torak nicht alles tun konnte, was ein Wolf vermochte. Dieser Gedanke stimmte Torak traurig und löste ein verschwommenes Unbehagen in ihm aus.
    Als er aufsah, war Wolf verschwunden. Dicke Wolkenbänke

Weitere Kostenlose Bücher