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Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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eigensinnig vorgeschoben und wich ihrem Blick aus. »Beim Träumen bewegen sich die Augen«, sagte sie. »Das behauptet jedenfalls Saeunn.«
    Er nickte. »Wenn du siehst, dass ich träume, weckst du mich dann auf?«
    »Warum? Was hast du gesehen, Torak?«
    Er schüttelte den Kopf. Er war wie ein Wolf. Wenn er etwas nicht wollte, konnte ihn keine Macht der Welt dazu zwingen.
    Renn versuchte es trotzdem. »Was ist mit dir los? Warum kannst du es mir nicht erzählen?«
    Er öffnete den Mund. Hatte sie sich etwa getäuscht? Rückte er nun doch mit der Sprache heraus? Da weiteten sich auf einmal seine Augen, er packte ihre Kapuze und riss sie so heftig nach unten, dass sie mit der Schläfe gegen den Rand des Kanus prallte.
    »Aua!«, schrie sie. »Was machst …«
    »Fin-Kedinn, duck dich!«, brüllte Torak im selben Augenblick.
    Als Renn sich aufrichten wollte, zischte etwas über ihren Kopf hinweg. Sie sah, wie Fin-Kedinn sein Messer zückte und damit durch die Luft fuhr; sie sah, wie Wolf am Ufer aufjaulte, als hätte ihn eine Hornisse gestochen, und in die Luft sprang. Und dann sah sie, wie eine spinnwebdünne Leine zerriss und harmlos auf dem Wasser trieb.
    Atemlose Stille trat ein. Renn setzte sich auf und rieb sich die schmerzende Schläfe, während Torak das Kanu in die Flussmitte steuerte und das Ende der Leine herausfischte.
    Es war keine Erklärung nötig. Kanus, die auf eine straffe Sehnenleine zusteuern, die zwischen den Bäumen an beiden Ufern gespannt ist. Und zwar genau in Kopfhöhe.
    Renn legte unwillkürlich die Hand in den Nacken. Wenn Torak nicht so schnell reagiert hätte, hätte die Sehne ihr die Kehle durchschnitten.
    »Er weiß, dass jemand hinter ihm her ist«, sagte Fin-Kedinn und paddelte neben sie.
    »Aber – vielleicht weiß er nicht, dass Torak sein Verfolger ist«, entgegnete Renn.
    »Wie kommst du darauf?«, fragte Torak.
    »Wenn er weiß, dass du ihn verfolgst, würde er wirklich das Risiko eingehen, dich zu töten?«, gab sie zurück. »Er ist auf deine Macht aus.«
    »Das wissen wir nicht genau«, sagte Fin-Kedinn. »Thiazzi ist sehr von sich eingenommen und fest davon überzeugt, dass er stärker als alle anderen ist. Außerdem hat er den Feueropal. Möglicherweise glaubt er, dass er die Macht des Seelenwanderers nicht mehr braucht. Und wenn das stimmt«, fügte er hinzu, »ist es ihm auch egal, wen er tötet.«

Kapitel 6

    Die Sehne hatte sich in Wolfs Vorderlauf eingeschnitten. Die Wunde blutete kaum und tat auch nicht weh, trotzdem hatte Torak darauf bestanden, eine Salbe aus Schafsgarbe und Mark aufzutragen, und nicht eher geruht, bis Renn die Paste schließlich aus dem Inhalt ihres Medizinbeutels angefertigt hatte.
    »Die reinste Verschwendung, er leckt sie einfach ab«, sagte Renn, was Wolf auch prompt tat.
    Torak war es gleich. Immerhin fühlte er sich danach selbst etwas besser, auch wenn es Wolf nicht viel geholfen hatte.
    Um ein Haar hätte er die Sehne übersehen. Dann hätten Renn oder Fin-Kedinn seinen Fehler büßen müssen. Allein bei dem Gedanken wurde ihm speiübel. Ein einziger Fehler reichte aus und man musste bis ans Ende seiner Tage mit den Folgen leben.
    Am Uferrand hockend, zerquetschte er eine Seifenkrautwurzel zu Brei und wusch sich damit die Hände.
    Als er aufsah, bemerkte er, dass Fin-Kedinn ihn beobachtete. Sie waren allein. Wolf trank am Ufer und Renn saß bereits im Kanu.
    Fin-Kedinn goss den Wassersack über Toraks Händen aus. »Mach dir meinetwegen keine Sorgen«, raunte er.
    »Leicht gesagt«, erwiderte Torak. »Saeunn war es ernst damit.«
    Der Anführer der Raben zuckte die Achseln. »Das sind doch nur Omen. Man kann sein Leben nicht nach dem ausrichten, was alles passieren könnte .« Er schulterte den Wassersack. »Gehen wir.«
    Sie folgten Wolf bis spät in die Nacht auf dem Schwarzwasser, schliefen unter den Kanus und zogen bereits vor Morgengrauen weiter. Gegen Nachmittag näherten sie sich allmählich dem Großen Wald. Wachsame Fichten säumten das Ufer, an deren Stämmen das Wasser aus Bartflechten tropfte. Selbst die noch unbelaubten Bäume sahen aus, als beäugten sie aufmerksam den Fluss. Welke Blätter, von den Herbststürmen übersehen, raschelten leise im Wind, und Eschenknospen glitzerten wie winzige schwarze Speere.
    Endlich rückten die Hügel des Großen Waldes in Blicknähe. Torak hatte es vor zwei Sommern schon einmal hierher verschlagen, allerdings weiter nördlich. Hier waren die Hänge steiler und steiniger: graue

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