Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)
Eisfluss?«
Er nickte.
»Aber der wusste, dass er sterben würde. Du bleibst vielleicht am Leben…«
»Das weiß niemand. Ich will nicht riskieren, dass meine Seelen getrennt werden. Ich will nicht riskieren, selbst ein Dämon zu werden.«
Sie bückte sich und kraulte Wolf hinter den Ohren. »Du hast Recht.«
Torak schaute an ihr vorbei auf die Lichtung, hinter der sich dunkelblau die Morgendämmerung ankündigte. Über Nacht hatten sich Wolken von den Bergen herabgewälzt und den Wald mit einer dicken Schneeschicht bedeckt. Er fragte sich, ob das für sein Vorhaben günstig war oder ihn eher behinderte.
Dann schüttete er etwas roten Ocker auf seine Handfläche und spuckte darauf, doch sein Mund war zu trocken, sodass er keine richtige Paste zustande brachte.
Renn beugte sich vor und spuckte auf seine Hand. Dann hob sie ein bisschen Schnee auf, ließ ihn in den Händen schmelzen und gab die Flüssigkeit hinzu.
»Danke«, murmelte er. Mit bebenden Fingern malte er sich Kreise auf die Fersen, auf Brustbein und Stirn. Als er fertig war, schloss er die Augen. Zuletzt hatte er Fa diesen Dienst erwiesen.
Wolf drängte sich an ihn, rieb seinen Geruch in das neue Beinleder. Dann legte er Torak die Pfote auf den Unterarm. Ich bin bei dir .
Torak bückte sich und berührte Wolfs Schnauze mit der Nase. Ich weiß .
»Hier.« Renn hielt ihm den Rabenhautbeutel hin. »Ich hab noch Wermutkraut dazugetan und alles noch einmal mit Saeunn überprüft. Der Tarnzauber müsste wirken. Der Bär wird die Nanuak nicht wittern.«
Torak band sich den Beutel an den Gürtel. Schon jetzt spürte er, wie die Todeszeichen auf seiner Haut trockneten und hart wurden.
»Das hier nimmst du lieber auch mit.« Sie reichte ihm ein kleines, in Birkenbast gewickeltes Bündel.
»Was ist das?«
Sie sah ihn verdutzt an. »Das, worum du mich gebeten hast und woran ich die ganze Nacht gesessen habe.«
Er erschrak. Das hätte er fast vergessen! Was wäre dann aus seinem Plan geworden?
»Ich habe noch ein paar reinigende Kräuter beigegeben«, erklärte Renn.
»Warum?«
»Na ja … wenn du den Bären getötet hast, bist du unrein. Ich meine, schließlich ist es immer noch ein Bär und damit ein anderer Jäger, selbst wenn er von einem Dämon besessen ist. Du wirst dich hinterher reinigen müssen.«
Es war typisch Renn, dass sie so weit vorausdachte, und es beruhigte ihn, dass sie offenbar glaubte, er hätte eine Chance gegen den Bären.
Wolf winselte ungeduldig und Torak gab sich einen Ruck. Zeit zum Abschiednehmen.
Als sie über die Lichtung gingen, fiel Torak ein, dass er das Medizinhorn vergessen hatte, und er rannte noch einmal zur Hütte zurück. Als er wieder herauskam, öffnete er seinen Medizinbeutel mit zitternden Fingern, und das Horn fiel ihm aus der Hand.
Fin-Kedinn hob es für ihn auf.
Der Anführer der Raben humpelte auf Krücken. Als er das Medizinhorn betrachtete, wich alles Blut aus seinem Gesicht. »Das hat einst deiner Mutter gehört.«
»Woher weißt du das?«, fragte Torak verwundert.
Fin-Kedinn schwieg, dann gab er Torak das Horn zurück. »Du darfst es auf keinen Fall verlieren.«
Torak verstaute das Horn in seinem Beutel. In Anbetracht seines Vorhabens waren das eigenartige Worte. Als er sich zum Gehen wandte, rief ihn Fin-Kedinn noch einmal zurück. »Torak …«
»Ja?«
»Wenn du es überstehst, gibt es hier bei uns immer einen Platz für dich. Falls du das möchtest.«
Torak war zu verblüfft, um zu antworten. Als er sich wieder gefangen hatte, war der Anführer der Raben bereits mit seiner üblichen steinernen Miene weggegangen.
Die Hohen Berge waren von Gold gesäumt, als Torak durch den knirschenden Schnee auf die wartenden Raben zuging. Oslak reichte ihm seinen Schlafsack und den Wassersack, Renn gab ihm Axt, Köcher und Bogen. Erstaunlicherweise half ihm Hord, seine Trage zu schultern. Der junge Mann wirkte zwar unzufrieden, schien sich jedoch damit abgefunden zu haben, dass nicht er derjenige sein sollte, der sich auf die Suche nach dem Berg begab.
Saeunn machte erst über Torak und dann über Wolf das Zeichen der schützenden Hand. »Möge der Clanhüter mit euch beiden fliegen.«
»Und auch mit euch laufen«, ergänzte Renn und lächelte gezwungen.
Torak nickte ihr kurz zu. Jetzt wollte er einfach nur noch los.
Die Raben sahen ihm schweigend nach, als er sich, dicht gefolgt von Wolf, durch den Schnee auf den Weg machte.
Er schaute sich nicht mehr um.
Schweigend lag der Wald vor ihnen,
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