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Chronik der Nähe

Chronik der Nähe

Titel: Chronik der Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Pehnt
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Art: ja eine Art honeymoon , oder,
Mama. Holland, Belgien, Dänemark, Irland oder der Süden, Italien, Griechenland,
Südfrankreich, aber im Herbst ist Schweden zu kalt, Islands heiße Quellen, du
magst warmes Wasser: Warum nicht gleich ein Kurhotel, Heilbad, Therme, etwas
Prächtiges, nein, etwas Bescheidenes, aber Schönes, also, schön muss es schon
sein, wenn wir beide mal eine Reise machen. Du kannst was zu lesen mitnehmen,
ich nehme was zu arbeiten mit, oder du was zu arbeiten, ich will auch lesen,
wir lesen zusammen, liegen in Liegestühlen, und vielleicht rauche ich sogar
eine mit dir.
    Wir könnten auch Yoga machen, nein, nicht dein Ding, nichts mit
Bewegung, als Kind musstest du so viel gehen und laufen und herumrennen, jetzt
ist dein Platz auf dem Sofa, bombensicher. Wir müssen uns ja auch gar nicht
bewegen, wir wählen den schönsten Ort, den ich mir für dich ausdenken kann, mit
dem schönsten Sofa der Welt, dann müssen wir auch nicht weg, wir sitzen dann
einfach da und sind uns nahe.
    â€“ Wird das nicht ein bisschen langweilig.
    â€“ Oder wir lesen, na gut, wir lesen. Essen, lesen und schlafen.
Niemand wird uns stören, die Oma wird nicht anrufen, keine Kinder werden an mir
zupfen, niemand wird deine Zigaretten zählen, ich werde Zeit haben, um Mut zu
sammeln, um dich endlich zu fragen.
    â€“ Wonach denn.
    â€“ Nach allem, nach früher, nach Oma.
    â€“ Ich denke, niemand soll uns stören.
    â€“ Wir können natürlich auch schweigen, wir tun einfach, was wir
wollen, Mama, darum geht es doch.
    â€“ Aber vielleicht will ich etwas anderes als du.
    â€“ Vielleicht, vielleicht, hätte wäre könnte sollte.
    Einmal, vor Jahren, waren wir in deinem Heimatort. Ich wollte es
unbedingt, habe nicht lockergelassen, immer wieder damit angefangen: dass ich
das Städtchen sehen will, deine Schule, den Niederrhein, die Wiesen, auf denen
dein Vater herumgestrichen ist mit seinen Pinseln und seiner kleinen Staffelei,
von der du mir erzählt hast, dein Elternhaus. Elternhaus, lachtest du, dass ich
nicht lache, welche Eltern, die Oma deine Mutter war ja nie da, der Vater tot,
einfach umgefallen. Aber doch erst nach Kriegsende, wandte ich ein. Wenn du es
besser weißt, sagtest du mürrisch, und schon ist dieses Gespräch wieder versiegt,
meine Schuld, mein Fehler, warum kann ich nicht den Mund halten,
Besserwisserin, Klugscheißerin, ich weiß doch, wie schnell du wieder
verstummst. Jedenfalls, beharrte ich, will ich mir deine Kindheit vorstellen,
komm, wir fahren hin. Über die Landstraßen, weit ist
es nicht, man musste es nur wollen. Du schautest kaum aus dem Fenster, gebeugt
über den Straßenatlas.
    â€“ Mama, das findest du doch im Schlaf.
    â€“ Von wegen. Das sieht jetzt alles ganz anders aus, ganz anders.
    â€“ Du siehst ja nichts, wenn du nicht hinausschaust.
    â€“ Ich sehe schon genug.
    Dann waren wir da, Marktplatz, die alte Schule jetzt ein
Seniorenheim, den abstrakten Brunnen aus Edelstahl gab es früher nicht, die
Apotheke doch, die Parfümerie nicht, natürlich nicht. Den Weg zum Haus
dirigierst du mich, endlich nun doch der eine oder andere Blick aus dem
Fenster.
    â€“ Wer hat hier gewohnt.
    â€“ Das sagt dir doch alles nichts.
    â€“ Du kannst es mir ja sagen, dafür sind wir doch hier.
    Du hieltest aber durch, fasstest dir an den Kopf, erst nur zufällig,
dann immer öfter, damit ich begriff, dass hier ein Kopfschmerz im Anmarsch war,
und zwar kein geringer, ein großer Kopfschmerz könnte das werden, und lieber
sollten wir schnell zurück nach Hause, wo sich der Kopfschmerz besser verarzten
ließe als in einem Kleinwagen kurz vor dem sogenannten Elternhaus, aber da ist
schon die Straße, kurz vergisst du den Atlas auf den Knien und die Finger an
den Schläfen und starrst aus dem Fenster, nun doch, dachte ich, du willst es
doch sehen, wir sind gemeinsam auf Spurensuche, auf Schatzsuche, und wer weiß,
was wir finden.
    â€“ Da, rufst du, das muss es sein. Hier ist es, und fassungslos
kurbelst du das Fenster hinunter, da drüben ist die Kreuzung, wo sind die
Obstbäume. Wir halten vor einem Einfamilienhaus, ich will gleich raus, aber du
hältst mich am Arm.
    â€“ Wo ist es, fragst du mich, auf einmal zittrig, deine Augen
herausgepresst, als drücke jemand von innen mit den Daumen dagegen.
    â€“ Erkennst du es denn nicht.
    â€“ Das, das ist doch ein Witz, was soll denn

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