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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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kamen, und fühlte fast seinen Schmerz. Er ging davon, und ich vergrub das Gesicht wieder in der Armbeuge.
    Aber dann hörte ich, wie er zurückkam.
    »Warum? Ich will etwas von dir hören. Ich will irgendein Bekenntnis.«
    »Nein«, sagte ich.
    Er streckte die Hand aus und packte mich bei den Haaren; er flocht seine Finger hinein und riß meinen Kopf hoch, daß es meine Kopfhaut schmerzhaft durchzuckte.
    »Du treibst es wirklich zu weit, David«, knurrte ich und riß mich los. »Noch so eine Nummer, und ich werfe dich von der Klippe.«
    Aber als ich sein Gesicht sah, als ich das Leid darin sah, verstummte ich.
    Er sank vor mir auf die Knie, so daß wir uns ungefähr Auge in Auge gegenüberkauerten.
    »Warum, Lestat?« fragte er; seine Stimme klang rissig und traurig, und es brach mir das Herz.
    Von Scham und Elend überwältigt, preßte ich die geschlossenen Augen auf meinen Unterarm und hob die linke Hand, um meinen Kopf zu bedecken. Und nichts, nicht sein Flehen, nicht seine Flüche, nicht sein Rufen und am Ende nicht sein Verschwinden, konnte mich dazu bringen, noch einmal aufzuschauen.
     
    Lange bevor es Morgen wurde, machte ich mich auf die Suche nach ihm. Das Zimmer war aufgeräumt, sein Koffer lag auf dem Bett. Der Computer war zugeklappt, und der Faust lag auf dem glatten Plastikkoffer.
    Aber er war nicht da. Ich suchte die ganze Hotelanlage nach ihm ab, aber ich konnte ihn nicht finden. Ich suchte im Garten und dann im Wald, in dieser und in jener Richtung, aber ohne Erfolg.
    Schließlich suchte ich mir eine kleine Höhle hoch oben auf dem Berg, und dort grub ich mich tief ein und schlief.
    Was nützt es, mein Elend zu beschreiben? Den dumpfen, dunklen Schmerz, den ich fühlte? Was nützt es, zu sagen, daß ich genau wußte, wie ungerecht, wie unehrenhaft und grausam ich gewesen war? Ich kannte das Ausmaß dessen, was ich ihm angetan hatte.
    Ich kannte mich selbst und meine ganze Bosheit, und jetzt erwartete ich von der Welt nichts anderes mehr, als daß sie mir diese Bosheit in gleicher Münze heimzahlte.
    Ich erwachte sofort, als die Sonne im Meer versunken war. Auf einer Anhöhe betrachtete ich die Dämmerung, und dann begab ich mich hinunter in die Straßen der Stadt, um zu jagen. Es dauerte nicht lange, bis der übliche Dieb versuchte, Hand an mich zu legen und mich auszurauben; ich schleifte ihn in eine kleine Gasse und trank ihn dort langsam und genüßlich aus, während nur wenige Schritte weit entfernt die Touristen vorbeischlenderten. Ich versteckte den Leichnam ganz hinten am Ende der Gasse und machte mich auf.
    Und wohin wollte ich gehen?
    Ich kehrte zum Hotel zurück. Seine Sachen waren immer noch da, aber er nicht. Ich suchte noch einmal und mußte die entsetzliche Befürchtung niederkämpfen, er könnte sich bereits selbst den Garaus gemacht haben; aber dann wurde mir klar, daß er schon viel zu stark war, als daß dies so einfach gewesen wäre. Selbst wenn er sich in die wütende Sonne gelegt hätte, was ich denn doch stark bezweifelte, hätte er nicht vollständig vernichtet werden können.
    Gleichwohl plagte mich jede nur denkbare Angst: Vielleicht war er so verbrannt und verkrüppelt, daß er sich selbst nicht mehr helfen konnte. Oder Sterbliche hatten ihn entdeckt. Vielleicht auch waren die anderen gekommen und hatten ihn verschleppt. Oder er würde wieder auftauchen und mich noch einmal verfluchen. Auch davor fürchtete ich mich.
    Schließlich ging ich noch einmal nach Bridgetown; ich konnte die Insel nicht verlassen, solange ich nicht wußte, was aus ihm geworden war.
    Eine Stunde vor Morgengrauen war ich immer noch da.
    Und auch in der nächsten Nacht fand ich ihn nicht. Und in der übernächsten auch nicht.
    Schließlich, wund an Geist und Seele, kehrte ich nach Hause zurück; ich hatte nichts als Elend verdient, sagte ich mir.
    Die Frühlingswärme war endlich auch nach New Orleans gekommen; unter einem klaren purpurfarbenen Himmel wimmelte es von den üblichen Touristen. Als erstes ging ich zu meinem alten Haus, um Mojo bei der alten Frau abzuholen; sie gab ihn nur sehr ungern ab, aber er hatte mich doch sehr vermißt.
    Dann begaben wir uns zusammen zur Rue Royale.
    Ich wußte, daß jemand in der Wohnung war, noch bevor ich die Hintertreppe erklommen hatte. Ich blieb für einen Augenblick stehen und schaute hinunter in den restaurierten Garten mit seinen geschrubbten Steinplatten und dem romantischen kleinen Springbrunnen mit den Posaunenengeln und ihren großen Füllhörnern, aus

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