Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
der durch die Schatten von Notre Dame huschte. Im Leben war sie nie mein Gewissen gewesen! Nicht Claudia, meine gnadenlose Claudia. Was für ein Traum! Ein reiner Traum.
Ein dunkles, heimliches Lächeln stahl sich auf meine Lippen, als ich sie anschaute, erbittert und schon wieder den Tränen nahe. Denn nichts veränderte sich durch die Erkenntnis, daß ich ihr die vorwurfsvollen Worte eingegeben hatte. Das gleiche galt vorher wie nachher. Es hatte eine Gelegenheit zur Errettung gegeben - und ich hatte nein gesagt,
Ich wollte ihr gern etwas sagen, als ich das Medaillon in der Hand hielt; ich wollte etwas zu dem Wesen sagen, das sie gewesen war, zu meiner eigenen Schwäche und zu dem gierigen, bösartigen Ding in mir, das wieder einmal triumphiert hatte. Denn das hatte ich. Ich hatte gesiegt.
Ja, ich wollte schrecklich gern etwas sagen! Und wäre es doch voller Lyrik und tiefer Bedeutung, und könnte ich meine Gier und meine Bosheit damit freikaufen, mein lüsternes kleines Herz! Denn ich ging nach Rio, nicht wahr, mit David, mit Louis, und eine neue Ära hatte begonnen …
Ja, sag etwas - um der Liebe des Himmels und um der Liebe Claudias willen -, sag etwas, das alles verdunkelt und zeigt, was es wirklich ist! O Gott - etwas, das es aufsticht und zeigt, welches Grauen in seinem Kern sitzt.
Aber ich konnte nicht.
Was gibt es denn auch im Grunde noch zu sagen?
Die Geschichte ist erzählt.
Lestat de Lioncourt
New Orleans 1991
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