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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Südamerika, die Mayas, wie ihre Bücher durch Priesterhand in Flammen aufgingen, und all die anderen alten Völker dort - ganze Nationen vernichtet! Es war nur Grauen, nichts als Grauen, immer schon, und ich kann mir nicht länger etwas vormachen. Wenn ich sehe, wie Millionen wegen eines Verrückten den Tod im Gas erleiden müssen, wenn ich sehe, wie ein ganzer afrikanischer Stamm massakriert wird, dass die Leichen sich im Fluss stauen, und ganze Länder hungern angesichts einer Zeit von Überfluss und Völlerei, dann kann ich an all die Platitüden, die ich vorher sagte, nicht mehr glauben. Ich weiß nicht mehr, ob es ein einzelnes Ereignis war, dass meinen Selbstbetrug aufdeckte. Ich weiß nicht, welches entsetzliche Geschehen die verlogene Maske lüftete. War es der Atomunfall in Russland, das Massaker in der Ukraine, war es der Sturz des Klosters in Nepal, in dem raffgierige Soldaten Krieg gegen wehrlose Mönche rührten und Bücher mit unbezahlbarem Inhalt den Flammen übergaben? Und das alles innerhalb weniger Jahrzehnte, während die westlichen Nationen in den Discos tanzen und Alkohol schlürfend in beiläufigen Worten das Schicksal des armen Dalai Lama beklagen, und dann vor dem Fernsehen einfach weiter zappen.
    Ich weiß nicht, was es war. Vielleicht waren es all die Millionen Menschen, die Völker, die man endlos aufzählen kann, eine Litanei ohne Ende. Ich habe keinen Glauben mehr, keine Überzeugung, die auf Ethik oder Vernunft beruht. Ich mache dir auch keine Vorwürfe, weil du auf den Kirchenstufen standest und die Arme dem allwissenden und vollkommenen Gott entgegenstrecktest. Ich weiß nichts, denn ich weiß zu viel, und ich verstehe bei weitem nicht genug - und das wird wohl immer so sein. Aber du hast mich eines gelehrt: dass wir die Liebe brauchen, so wie die Blumen das Wasser, wie das hungrige Kind Nahrung braucht, und so wie das Raubtier Blut braucht. Liebe brauchen wir, und Liebe kann uns wie nichts anderes alles vergessen und verzeihen lassen.
    Und deshalb habe ich die beiden ihrer wunderbaren, viel versprechenden, modernen Welt mit ihren kranken, hoffnungslosen Menschenmassen entrissen. Ich nahm sie und gab ihnen die einzige Macht, die ich besitze, und ich tat es für dich. Ich habe ihnen Zeit geschenkt, Zeit, in der sie vielleicht die Antworten finden, die die Menschen, die jetzt leben, nie erfahren werden.
    Das ist die ganze Wahrheit. Und ich wusste wohl, dass du weinen würdest, dass du leiden würdest, aber ich wusste auch, du würdest sie für dich haben und sie lieben, wenn es vollbracht war. Und ich wusste, dass du sie dringend brauchst.
    »Hier stehen wir also … vereint mit der Schlange und dem Löwen und dem Wolf, und wir sind sicherlich den schlimmsten Exemplaren der Spezies Mensch, die sich als Monster erster Güte erwiesen haben, weit überlegen. Denn wir nähren uns von den Bösen in einer Welt des Bösen, dem es nur gut tun kann, wenn es ein wenig zurückgestutzt wird.«
    Schweigen senkte sich über uns. Ich dachte lange nach. Sybelle spielte nicht mehr, ich wusste, sie machte sich Sorgen um mich und brauchte mich, ich spürte ihre drängende Vampirseele. Ich würde bald zu ihr gehen müssen. Aber ich nahm mir Zeit mit der Formulierung meiner Worte.
    »Du hättest Vertrauen in sie haben müssen, Herr, sie hätten als Lebende eine Chance erhalten müssen. Wie immer du auch über die Welt dachtest, du hättest ihnen erlauben sollen, eine Zeit lang darin zu leben. Es war ihre Welt und ihre Zeit.«
    Er schüttelte, müde und scheinbar von mir enttäuscht, den Kopf, doch da er vor langer Zeit schon alles beschlossen hatte, vielleicht sogar, ehe ich am Tag zuvor hier erschienen war, schien er willens, es so hingehen zu lassen. Mit großer Würde sagte er:
    »Armand, du bist auf ewig mein Kind. Alle Magie und alles Göttliche in mir ist dem Menschlichen verhaftet, so ist es stets gewesen.«
    »Du hättest ihnen Zeit geben sollen. So sehr ich sie auch liebe, sollte diese Liebe doch nicht ihr Todesurteil sein oder die Eintrittskarte in unsere fremde, unerklärliche Welt. Wir mögen deiner Einschätzung nach nicht schlimmer sein als Menschen, aber du hättest deine Überzeugung für dich behalten können. Du hättest sie in Ruhe lassen sollen.«
    Es reichte mir, und außerdem war David aufgetaucht. Er hafte schon eine Kopie des Manuskriptes dabei, aber deshalb war er nicht gekommen. Er trat sehr langsam näher und räusperte sich, damit wir unser Gespräch abbrechen konnten.
    Ich

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