Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
schien sich auf mich niederzusenken und mich mit seinem ungeheuren Gewicht zu ersticken.
Ich schrie. Ich war wehrlos, schwerelos, konnte nicht atmen. Ich schrie, wie ich in meinem ganzen elenden Leben nicht geschrien habe, so laut, dass es das Dröhnen in meinen Ohren übertönte. Doch das Bild, dies unentrinnbare Gesicht, aus Seinem Antlitz entstanden, drang immer näher auf mich ein.
»Oh, Herr!«, schrie ich mit aller Kraft. Meine Lunge brannte. Wind umheulte mich.
Etwas schlug hart gegen meinen Hinterkopf, so fest, dass der Schädel barst. Ich spürte feuchtes Blut.
Ich schlug die Augen auf. Ich lag meterweit entfernt mit gespreizten Gliedern vor der Kapellenwand, an die ich geschleudert worden war. Mein gebrochener Schädel brannte wie Feuer.
Lestat hatte sich die ganze Zeit über nicht bewegt. Ich wusste es. Niemand brauchte es mir zu sagen. Es war nicht er gewesen, der mich zurückgeschleudert hatte. Ich drehte mich auf den Bauch und schob den Arm unter meinen Kopf. Ich spürte, wie alle sich um mich versammelten, Louis war da und selbst Gabrielle näherte sich. Und Marius zog Benji und Sybelle fort.
In der Stille hörte ich Benjis scharfe Stimme fragen:
»Was ist passiert? Der Blonde hat ihn doch gar nicht geschlagen! Nein, -«
Ich verbarg mein Gesicht, verbarg die Tränen mit meinen zitternden Händen, und niemand sah mein bitteres Lächeln, wenn auch alle mein Schluchzen hören konnten.
Lange Zeit hörte ich nicht auf zu weinen. Nach und nach begann die Schädelwunde zu heilen, wie ich erwartet hatte. Das dunkle, böse Blut stieg an die Oberfläche und, kribbelnd, juckend, tat es sein böses Werk, versiegelte das Fleisch - ein Laserstrahl der Hölle. Jemand reichte mir ein Tuch. Sachter Duft von Louis. Ich brauchte lange, sicherlich eine Stunde, bis ich schließlich mein Gesicht damit abwischte.
Während dieser Stunde schlüpften alle ehrfürchtig hinaus, und nun richtete ich mich auf und lehnte mich an die Wand. Die Wunde war geschlossen, nichts tat mehr weh. Lange, lange betrachtete ich Lestat. Mir war kalt, ich war allein und innerlich ganz wund. Was immer andere für Geräusche machten, nichts davon drang an mein Gehirn. Im Allerheiligsten meines Geistes überdachte ich alles gründlich, alles, was ich hier erzählt habe.
Schließlich stand ich auf. Ich ging zu Lestat und schaute auf ihn nieder. Gabrielle sprach zu mir, sagte etwas Böses, sehr Gemeines, ich hörte nur den Tonfall, als wäre mir die Sprache - altes Französisch - nicht bekannt.
Ich beugte mich nieder und küsste sein Haar.
Er regte sich nicht. Nichts änderte sich an ihm. Ich fürchtete nicht, dass er sich regen würde, fürchtete auch nicht das Gegenteil. Ich küsste ihn abermals auf die Wange, dann stand ich auf, rieb mir die Hände mit dem Tuch, das ich noch hielt, und ging hinaus.
Ich stand lange Zeit wie erstarrt, und dann fiel mir wieder etwas ein, etwas, das Dora damals gesagt hatte, von einem Kind, das in der Dachkammer gestorben war, von einem kleinen Gespenst und alten Kleidern.
An diesen Gedanken hielt ich mich fest und schaffte es, mich auf die Treppen zuzubewegen. Und dort traf ich dich dann kurze Zeit später. Und nun, ob es nun nutzt oder nicht, weißt du, was ich sah oder nicht sah.
Und damit ist meine Symphonie beendet. Lass mich mit meinem Namen unterzeichnen.
Gib mir eine Kopie, wenn du fertig bist. Ich gebe sie Sybelle. Und vielleicht auch Benji. Und du kannst damit machen, was du willst.
25
D ies ist kein Epilog. Es ist das letzte Kapitel einer Geschichte, die ich beendet glaubte. Ich schreibe selbst. Es wird kurz werden, denn es geht um kein Drama, und ich muss die nackten Knochen dieser Geschichte sehr vorsichtig bekleiden. Vielleicht werde ich später einmal die richtigen Worte finden, die besser beschreiben, was geschah. Aber im Augenblick bin ich nur dazu fähig, das Ganze faktisch festzuhalten. Ich verließ das Kloster nicht, nachdem ich meine Geschichte unterschrieben hatte. Es war zu spät.
Die Nacht war in einem Schwall von Worten hingegangen, und ich musste mich in eine der geheimen Kammern zurückziehen, die David mir zeigte. Lestat war dort gefangen gehalten worden, und nun lag ich in dieser Kammer ausgestreckt am Boden, übererregt von allem, was ich David erzählt hatte. Erschöpft wie nie zuvor, fiel ich in tiefsten Schlaf, kaum dass die Sonne aufstieg. Als ich mich zur Abenddämmerung erhob, glättete ich meine Kleidung und ging zurück in die Kapelle, wo ich niederkniete und
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