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Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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Laternen in ihren Händen reihten sich zu gespenstisch trunkenen Spalieren.
    Inmitten dieses schweigenden Gewimmels blieb ich hinter meinen stummen Führern; getrieben von Ellbogen, die widernatürlich weich anmuteten, und bedrängt von Oberkörpern und Bäuchen, die unnatürlich schwammig erschienen; doch ohne auch nur ein einziges Gesicht zu erblicken oder ein einziges Wort zu vernehmen. Empor, empor, empor krochen die gespenstischen Kolonnen, und ich beobachtete, dass die Pilgerschar zusammenrückte, als sie einer Art Knotenpunkt aus windschiefen Gassen entgegenströmte, die den Scheitel eines hohen Hügels im Stadtzentrum erklommen, auf dem eine große weiße Kirche kauerte. Ich hatte sie von der Straßenkuppe aus gesehen, als ich im frühen Abendzwielicht auf Kingsport hinunterblickte, und ein Schauder durchrieselte mich, weil einen Augenblick lang Aldebaran den Anschein erweckte, als balancierte er auf der geisterhaften Kirchturmspitze.
    Ein Freiraum umgab die Kirche; er war zum Teil ein Kirchhof mit gespenstischen Totensteinen, zum Teil ein halb gepflasterter Platz, vom Wind beinahe schneefrei gefegt und gesäumt von ungesunden altertümlichen Häusern mit spitzen Dächern und überhängenden Giebeln. Totenlichter tanzten auf den Gräbern und schufen schaurige Bilder, obwohl sie keinerlei Schatten warfen. Jenseits des Kirchhofs, wo keine Häuser standen, konnte ich über den Hügelrücken hinausblicken und das Funkeln der Sterne im Hafenbecken betrachten, wenn auch die Stadt selbst unsichtbar in der Dunkelheit lag. Hie und da schwankte eine Laterne schaurig durch die gewundenen Gassen, um zur Menge aufzuschließen, die jetzt wortlos in die Kirche schlüpfte. Ich wartete, bis sämtliche Gestalten durch das Portal geströmt und auch die Nachzügler in seinem schwarzen Schlund verschwunden waren. Der alte Mann zog mich am Ärmel, aber ich war fest entschlossen, als Letzter zu gehen.
    Als ich über die Schwelle in den wimmelnden Tempel unerahnbarer Finsternis eintrat, wandte ich ein letztes Mal den Kopf, um einen Blick auf die Außenwelt zu werfen, wo der Kirchhof im Flackerschein der Totenlichter ein kränkliches Glühen über das Pflaster der Hügelkuppe goss. Ich erschauderte, denn obwohl der Wind nur wenig Schnee zurückgelassen hatte, waren ein paar Stellen auf dem Weg neben dem Kirchenportal liegen geblieben; und während jenes flüchtigen Blicks über die Schulter kam es meinen entgeisterten Augen vor, als wiesen die Schneeflecken keinerlei Fußspuren auf, selbst meine eigenen fehlten.
    Das Kircheninnere war kaum erhellt von all den Laternen, die hereingefunden hatten, denn der größte Teil der Menge war bereits verschwunden. Sie waren den Mittelgang zwischen den hohen Kirchenbänken zur Falltür der Grabgewölbe hinaufgeströmt, die direkt vor der Kanzel widerlich gähnend offen stand, und schlängelten sich nun lautlos hinein. Stumm folgte ich ihnen über die ausgetretenen Stufen in die dunkle stickige Krypta. Das Ende dieser dahinkriechenden Schlange von Nachtpilgern kam mir ganz entsetzlich vor, und als ich sah, dass sie in eine altehrwürdige Grabkammer hineinglitten, erschienen sie noch furchtbarer.
    Dann gewahrte ich, dass der Boden der Grabkammer eine Öffnung aufwies, durch die die Schar nun in die Tiefe zog, und im nächsten Augenblick stiegen wir alle einen beklemmenden Treppenschacht aus roh behauenen Steinen hinab; einen engen, gewendelten Treppenschacht, feucht und von einem unsäglichen Geruch erfüllt, der sich endlos in die Eingeweide des Hügels hinabschraubte, durch immer gleiche Wände aus tropfenden Steinquadern und bröckelndem Mörtel. Es war ein stiller schockierender Abstieg und nach einer schrecklichen Zeitspanne bemerkte ich, dass die Wände und Stufen ihre Beschaffenheit änderten, so, als seien sie aus dem gewachsenen Fels geschlagen. Was mich am meisten besorgte, war, dass die Myriaden von Schritten keinerlei Geräusche verursachten und keinerlei Echos hervorriefen.
    Nach weiteren Äonen des Abstiegs sah ich einige Seitengänge oder Tunnel aus unbekannten Kavernen der Finsternis in diesen Schacht nächtlicher Geheimnisse münden. Bald wurden es unglaublich viele, gleich gottlosen Katakomben namenloser Bedrohungen; und ihr beißender Verwesungsgestank wurde nahezu unerträglich. Ich wusste, wir mussten quer durch den ganzen Berg bis unter die Erde von Kingsport selbst hinabgestiegen sein, und es jagte mir einen Schauder über den Rücken, dass eine Stadt dermaßen alt sein

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