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Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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Der Erzähler begegnet der Vergangenheit seiner Familie; der Schluss scheint nahezulegen, dass das ganze als eine Vision zu sehen ist.
    Die in ›The Festival‹ erwähnte unheimliche Kirche hat Lovecraft in Briefen auch identifiziert: Es ist die sehr malerische St. Michael’s Episcopal Church in Marblehead (Frog Lane), 1714 erbaut und 1754 um den Glockenturm erweitert, die älteste Kirche am Ort. Das unterirdisch-chthonische Totenreich, in das der Erzähler durch seine Evokation der Vergangenheit gerät, gibt ihn nur im letzten Augenblick frei: Lovecraft lässt dem Leser die Freiheit, das ganze Erlebnis bis zum Sturz in den winterlichen Ozean als suizidale Fantasie zu interpretieren. Man beachte auch Lovecrafts Remythologisierung des Weihnachtsfestes (das ja in der Tat in vielen Punkten – nicht zuletzt im Datum – auf vorchristliches römisches Brauchtum zurückgeht). Das Motto der Erzählung stammt von dem lateinischen Kirchenvater Lactantius (ca. 250 – ca. 325 n. Chr.) und heißt übersetzt: »Die Dämonen bewirken, dass sie Dinge, die nicht existieren, die aber gewissermaßen sein könnten, vor den Menschen als Anschauung erscheinen lassen« (Lovecraft übernimmt das Zitat aus Cotton Mather, Magnalia Christi Americana, London 1702, S. 64; ein Buch, das er selbst besaß).
    ›The Festival‹ erschien zuerst in Weird Tales, Januar 1925 und noch einmal im Oktober 1933.

Das Fest
    Efficut Daemones, ut quae non sunt, sic tamen quasi sint,
    conspicienda hominibus exhibeant.
    – Lactantius
    Fern weilte ich von zu Hause, und das Meer des Ostens hatte mich in seinen Bann gezogen. In der Dämmerung hörte ich es gegen die Klippen branden und ich wusste, dass es unmittelbar hinter der Anhöhe lag, wo die krummen Weiden sich vor dem klaren Himmel und den ersten Abendsternen bogen. Und weil meine Ahnen mich zu der alten Stadt an der Meeresküste gerufen hatten, eilte ich durch den dünnen, frisch gefallenen Schnee auf der Straße voran, die einsam den Hügelkamm erklomm, wo zwischen den Bäumen Aldebaran blinzelte; jener uralten Stadt entgegen, die ich nie gesehen, doch von der ich so häufig geträumt hatte.
    Es war die Zeit des Julfestes, das die Menschen Weihnachten nennen, wenngleich sie tief in ihren Herzen wissen, dass es älter ist als Bethlehem und Babylon, älter als Memphis und die ganze Menschheit. Es war die Zeit des Julfestes und ich war endlich in die alte Küstenstadt gekommen, wo die Meinen ehedem gelebt und das Fest begangen hatten, als das Fest verboten gewesen war; wo sie auch ihre Söhne bestimmt hatten, das Fest einmal in jedem Jahrhundert zu feiern, auf dass die Erinnerung an uralte Geheimnisse nicht in Vergessenheit gerate. Meine Vorfahren waren ein altes Geschlecht, das bereits alt gewesen war, als dieses Land vor dreihundert Jahren besiedelt wurde. Und sie waren wunderlich, denn sie waren als ein dunkler, verstohlener Menschenschlag aus berauschend duftenden Orchideengärten des Südens gekommen und hatten eine fremde Sprache gesprochen, ehe sie die Sprache der blauäugigen Fischer erlernten. Und jetzt lebten sie weit versprengt und teilten nur noch die geheimnisvollen Riten miteinander, die kein Lebender zu verstehen vermag. Ich war der Einzige, der während jener Nacht in die alte Hafenstadt zurückkehrte, wie es die Legende gebot, denn nur die Armen und die Einsamen bewahren die Erinnerung.
    Dann erblickte ich jenseits der Hügelkuppe Kingsport frostkalt hingebreitet in der Dämmerung, das verschneite Kingsport mit seinen alten Wetterfahnen und Kirchturmspitzen, Firstbalken und Kaminkronen, Hafenmolen und schmalen Brücken, Trauerweiden und Friedhöfen; mit seinen endlosen Irrgärten aus steilen, engen, krummen Gassen und seinem schwindelerregend aus der Ortsmitte ragenden Kirchhügel, den die Zeit nicht anzutasten wagte; mit seinen unendlichen Labyrinthen aus Häusern der Kolonialzeit, die kreuz und quer, untereinander und übereinander hingewürfelt schienen gleich den verstreuten Bauklötzen eines Kindes; mit seiner Aura des Alters, die auf grauen Schwingen über winterlich weißen Giebeln und Walmdächern schwebte; mit seinen fächerförmigen Oberlichten über den Hauseingängen und den kleinformatigen Fensterscheiben in den Häusermauern, die eins nach dem andern in den kalten Nachtbeginn hinausleuchteten, um sich Orion und den Äonen alten Sternen beizugesellen. Und gegen die morschen Molen brandete das Meer; das geheimnisvolle, unvordenkliche Meer, aus dem meine Ahnen in alter Zeit

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