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Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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Beziehung setzen konnte.
    Er wusste, dass sein Zimmer sich in einem alten Hexenhaus befand – aus ebendiesem Grund hatte er es gemietet. Im Archiv von Essex County fand sich viel Material über den Prozess gegen Keziah Mason, und das, was sie unter der Folter dem Scharfrichter gestanden hatte, faszinierte Gilman über alle Maßen. Dem Richter Hathorne hatte sie etwas von Linien und Kurven erzählt, die einem Wege über die Grenzen des Raums hinaus in andere Räume wiesen, und sie hatte behauptet, dass ebensolche Linien und Kurven bei gewissen mitternächtlichen Zusammenkünften im dunklen Tal des weißen Steines jenseits vom Meadow Hill und auf der unbewohnten Insel im Fluss häufig Verwendung fänden. Außerdem hatte sie vom schwarzen Mann gesprochen, von ihrem Eid und von ihrem neuen, geheimen Namen: Nahab. Dann hatte sie die erwähnten Symbole an die Mauern ihrer Zelle gemalt und war verschwunden.
    Gilman glaubte die sonderbaren Geschichten über Keziah, und er hatte ein eigenartiges Prickeln verspürt, als er in Erfahrung gebracht hatte, dass ihr Haus nach über zweihundertfünfunddreißig Jahren noch immer stand. Als er die Gerüchte über Keziahs fortwährende Gegenwart in dem alten Haus und den engen Gassen hörte, das Gerede über unregelmäßige Bissspuren von menschlichen Zähnen, die man an Schlafenden in diesem und in anderen Häusern entdeckt hatte, über die Schreie von Kindern um die Walpurgisnacht und Halloween herum, über den Gestank, den man nach diesen gefürchteten Feiertagen häufig in der Dachkammer des alten Hauses wahrnahm, und über das kleine pelzige, scharfzähnige Wesen, das angeblich in dem modrigen Bauwerk und der Stadt umherstreunte und in den dunklen Stunden vor Tagesanbruch neugierig Menschen beschnupperte, da fasste er den Entschluss, in dem Haus zu wohnen, koste es, was es wolle. Es war nicht schwer, dort ein Zimmer zu bekommen; das unbeliebte Haus war schwer zu vermieten und wurde schon seit Längerem als billige Unterkunft genutzt. Gilman hätte nicht in Worte fassen können, was er dort eigentlich zu finden erwartete; ihm war lediglich klar, dass er in dem Gebäude wohnen wollte, in dem im 17. Jahrhundert eine gewöhnliche Frau durch irgendeinen Umstand mehr oder weniger unvermittelt mathematische Einsichten erlangt hatte, die vielleicht sogar die modernsten Errungenschaften von Planck, Heisenberg, Einstein und de Sitter übertrafen.
    In der Hoffnung, Reste von rätselhaften Zeichnungen zu entdecken, untersuchte er die Holz- und Gipswände an jeder möglichen Stelle, wo die Tapeten sich gelöst hatten, und binnen einer Woche gelang es ihm, in das nach Osten gelegene Mansardenzimmer einzuziehen, in dem Keziah angeblich ihre Hexenkünste ausgeübt hatte. Es stand leer – niemand war je bereit gewesen, lange darin zu wohnen –, doch der Hauswirt, ein Pole, vermietete es nur ungern. Gilman indes geschah in dem Zimmer überhaupt nichts, jedenfalls nicht, bis sich das Fieber einstellte. Weder schwebte der Geist Keziahs durch die finsteren Korridore und Kammern, noch schlich sich ein kleines pelziges Wesen in seine armselige Unterkunft, um ihn zu beschnuppern – und seine unablässige Suche wurde nicht mit Aufzeichnungen von Zaubersprüchen der Hexe belohnt. Manchmal schlenderte er durch den schattigen Irrgarten der ungepflasterten, modrig riechenden Gassen, wo scheußliche braune Häuser unbestimmbaren Alters windschief aneinanderlehnten und ihn mit ihren kleinen Fenstern höhnisch anzustarren schienen. Er wusste, dass hier einst merkwürdige Dinge geschehen waren, und hatte das vage Gefühl, dass die monströse Vergangenheit nicht gänzlich entschwunden war – zumindest nicht in den finstersten, engsten und verwinkeltsten dieser Gassen. Gilman ruderte auch zweimal zu der verrufenen Insel im Fluss hinaus und fertigte eine Skizze von den einzigartigen Winkeln an, die die Reihen moosbewachsener grauer Menhire bildeten, deren Ursprung im Nebel der Zeit verborgen liegt.
    Gilmans Zimmer war recht groß, aber merkwürdig unregelmäßig geschnitten; die Nordwand verlief von der vorderen zur hinteren Ecke schräg nach innen, während die niedrige Decke in dieselbe Richtung sanft abfiel. Abgesehen von einem unübersehbaren Rattenloch und weiteren Löchern, die zugestopft worden waren, gab es keine Zugangsmöglichkeit – auch keinen Hinweis auf einen früheren Zugangsweg – in den Raum, der zwischen der schrägen Wand und der Außenmauer der Nordseite des Hauses liegen musste, obwohl man

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