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Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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das es wie ein Vampir aussaugte. Seine Stimme wurde als ekelhaftes Kichern beschrieben, außerdem beherrsche es sämtliche Sprachen. Von all den bizarren Monstrositäten, die in Gilmans Träumen auftauchten, erfüllte keine ihn mit größerer Furcht und größerem Ekel als dieses gotteslästerliche kleine Zwitterwesen, dessen Bild in seinen Fiebervisionen tausendmal scheußlicher aussah als alles, was sich sein wacher Verstand anhand der alten Unterlagen und der neueren Gerüchte vorgestellt hatte.
    Meist träumte Gilman, er stürze in unermessliche Abgründe von unbeschreiblich gefärbtem Dämmerlicht und schauderhaft chaotischen Klängen, Abgründe, deren materielle Schwerkraftgesetze sowie Beschaffenheit und deren Beziehung zu seinem eigenen Dasein er sich nicht einmal ansatzweise erklären konnte. Weder ging er noch kletterte er, er flog und schwamm nicht, kroch und robbte nicht; immer aber bewegte er sich auf eine Weise fort, die zum Teil freiwillig und zum Teil unfreiwillig geschah. Seinen Zustand vermochte er nur schwer zu beurteilen, da er wegen einer sonderbar verschobenen Perspektive seine Arme, Beine und den Oberkörper nicht sehen konnte; er fühlte jedoch, dass seine Anatomie und seine physischen Fähigkeiten auf wundersame Weise verwandelt und verschoben worden waren – wenn auch nicht ohne einen grotesken Zusammenhang zu seinen normalen Proportionen und Befähigungen zu bewahren.
    Diese Abgründe waren keineswegs leer, sondern vielmehr zum Bersten angefüllt mit unbeschreiblich verwinkelten Massen einer Substanz von fremdartiger Farbe, die teils organisch, teils anorganisch zu sein schien. Ein paar der organischen Objekte riefen undeutliche Erinnerungen in ihm wach, auch wenn ihm nicht einfallen wollte, was sie auf so höhnische Weise nachahmten oder andeuteten. In den späteren Träumen konnte er die organischen Objekte in verschiedene Kategorien einteilen, die fundamental unterschiedliche Gattungen mit ihren jeweils eigenen Verhaltensmustern und Beweggründen zu bezeichnen schienen. Eine dieser Kategorien schien Objekte zu umfassen, die in ihren Regungen etwas weniger unlogisch und irrelevant zu sein schienen als die anderer Kategorien.
    All diese Objekte, organische wie anorganische, spotteten jeder Beschreibung und entzogen sich jeglichem Verständnis. Manchmal verglich Gilman die anorganische Materie mit Prismen, Labyrinthen, Ansammlungen von Würfeln und Ebenen oder zyklopischen Gebäuden; die organischen Dinge kamen ihm jeweils wie Gruppen von Blasen, Tintenfischen, Tausendfüßlern, lebenden Hindugötzen oder komplizierten Arabesken vor, die zu einer Art schlangenhaftem Leben erwacht waren. Alles, was er sah, wirkte unbeschreiblich bedrohlich und grauenhaft; immer, wenn eines der organischen Wesen ihn zu bemerken schien, was er aus dessen Bewegungen ableitete, empfand er nackte, grausige Angst – und regelmäßig war es diese Angst, die ihn ruckartig erwachen ließ. Darüber, wie die organischen Wesen sich bewegten, konnte er ebenso wenig sagen wie darüber, wie er selbst es tat. Mit der Zeit stieß er auf ein weiteres Rätsel – die Neigung einzelner Wesen, unversehens aus dem Nichts zu erscheinen oder ebenso plötzlich zu verschwinden. Das schreiende, brüllende Klangbabel, das die Abgründe durchdrang, entzog sich jeder Analyse von Tonhöhe, Klangfarbe oder Rhythmus; es schien mit den vagen visuellen Veränderungen der zahllosen Objekte, organischen wie anorganischen, synchron einherzugehen. Gilman hatte beständig Angst, es könne während einer der mysteriösen, unausweichlichen Schwankungen zu einer unerträglichen Lautstärke anschwellen.
    Doch nicht in diesen völlig fremdartigen Strudeln sah er Brown Jenkin. Dieses entsetzliche kleine Schreckgespenst war leichteren, klareren Träume vorbehalten, die ihm stets zusetzten, bevor er in den tiefsten Schlaf fiel. Wenn er dann in der Dunkelheit lag und darum rang, wach zu bleiben, schien ein schwaches Leuchten von dem jahrhundertealten Zimmer auszugehen und die Stelle, wo sich die schrägen Flächen trafen, die sein Denken so heimtückisch in Beschlag genommen hatten, mit einem violetten Nebel zu umgeben. Das Ungeheuer tauchte dann anscheinend aus dem Rattenloch in der Ecke auf und tippelte über die breiten, durchgetretenen Dielen auf ihn zu, böse Vorfreude in dem winzigen bärtigen Menschengesicht; barmherzigerweise verflüchtigte sich dieser Traum immer, bevor das Wesen nahe genug an ihn herankam, um ihn zu beschnuppern. Es hatte

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