Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)
Hieroglyphen und mir unbekannten Sprachen betraf, die ich in die Bibliotheksbücher geschrieben hatte – in meinem Sekundärzustand war es mir sicher ein Leichtes gewesen, mir oberflächliche Kenntnisse dieser Sprachen anzueignen, und die Hieroglyphen hatte meine Fantasie zweifellos anhand der Beschreibungen in alten Legenden ersonnen und danach in meine Träume verwoben. Ich versuchte, gewisse Punkte durch Gespräche mit bekannten Sektenführern zu überprüfen, vermochte aber nie, die richtigen Kontakte zu knüpfen.
Zuweilen beunruhigten mich die Parallelen zwischen so vielen Fällen aus so verschiedenen Zeiträumen genauso wie zu Anfang, doch andererseits sagte ich mir, dass die aufwühlende Folklore in der Vergangenheit sicher weiter verbreitet gewesen sei als in jüngerer Zeit.
Vermutlich waren alle anderen Opfer mit einer ähnlichen Geschichte wie ich seit Langem mit den Erzählungen vertraut gewesen, von denen ich erst in meinem Sekundärzustand erfahren hatte. Als diese Opfer ihr Gedächtnis verloren hatten, hatten sie sich selbst mit den Kreaturen ihrer alten Mythen, den sagenhaften Usurpatoren, die sich in die Geister der Menschen drängten, in Zusammenhang gebracht und sich deshalb auf die Suche nach Wissen gemacht, das sie in eine eingebildete nicht menschliche Vergangenheit mitzunehmen können glaubten.
Und wenn ihr Gedächtnis dann zurückgekehrt war, drehten sie den assoziativen Prozess wieder um, hielten sich für die zuvor gefangenen Geister und nicht mehr für die Usurpatoren. Und von daher rührten die Träume und die Pseudo-Erinnerungen, die dem konventionellen Muster der Mythen folgten.
Trotz ihrer Unzulänglichkeit verdrängten diese Erklärungsversuche doch schließlich alle übrigen aus meinen Gedanken – hauptsächlich wegen der größeren Schwachpunkte aller anderen Theorien. Außerdem pflichtete mir eine beträchtliche Anzahl bedeutender Psychologen und Anthropologen allmählich bei.
Je mehr ich darüber nachsann, desto überzeugender erschien mir meine Erklärung, sodass ich schließlich über ein wirklich effektives Bollwerk gegen die Visionen und Eindrücke verfügte, die mich noch immer plagten. Und wenn ich nun nachts sonderbare Dinge sah? Das lag an dem, was ich gelesen und gehört hatte. Und wenn ich nun merkwürdige Abneigungen, Ansichten und Pseudo-Erinnerungen hatte? Auch das war bloß der Nachhall von Mythen, die ich in meinem sekundären Zustand in mich aufgenommen hatte. Nichts, was ich träumen oder fühlen mochte, konnte von irgendeiner tieferen Bedeutung sein.
Durch diese Geisteshaltung bestärkt, verbesserte sich mein nervliches Gleichgewicht erheblich, wenngleich die Visionen – anders als die abstrakten Empfindungen – an Häufigkeit und an verstörenden Details zunahmen. 1922 fühlte ich mich in der Lage, wieder eine regelmäßige Arbeit anzutreten, und setzte mein neu erworbenes Wissen in die Praxis um, indem ich eine Dozentenstelle für Psychologie an der Universität annahm.
Mein alter Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre war schon vor Langem adäquat besetzt worden – zudem hatten sich die Lehrmethoden in diesem Fach seit meinen Glanzzeiten stark gewandelt. Zu diesem Zeitpunkt bereitete mein Sohn sich gerade auf die Habilitation vor, die schließlich zu seiner derzeitigen Professur führen sollte, und wir arbeiteten sehr viel zusammen.
IV
Trotz allem führte ich weiterhin genau Tagebuch über die ausgefallenen Träume, die mir so häufig und lebhaft zusetzten. Ich dachte mir, dass eine solche Aufzeichnung als psychologisches Dokument von großem Wert sei. Die Traumgesichte hatten nach wie vor eine unheilvolle Ähnlichkeit mit Erinnerungen, auch wenn ich diesen Eindruck mit gewissem Erfolg bekämpfte.
Bei der Niederschrift behandelte ich die Phantasmen wie tatsächlich gesehene Dinge; sonst jedoch tat ich sie wie alle nächtlichen Traumgespinste ab. In normalen Gesprächen erwähnte ich diese Angelegenheiten nie, auch wenn Berichte darüber, die unweigerlich nach außen dringen mussten, allerlei Gerüchte über meinen Geisteszustand in die Welt setzten. Es ist amüsant, dass diese Gerüchte ganz auf Laienkreise beschränkt blieben und bei den Ärzten und Psychologen keinerlei Befürworter fanden.
Von meinen Visionen nach 1914 möchte ich an dieser Stelle nur einige wenige erwähnen, da dem ernsthaften Studenten vollständigere Aufzeichnungen und Berichte zur Verfügung stehen. Es ist augenscheinlich, dass im Laufe der Zeit die merkwürdigen Hemmungen
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