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Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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sie betrachtete, desto stärker arbeitete seine Vorstellungskraft, bis er sich schließlich merkwürdige Dinge einzubilden begann. Er glaubte, eine vage einzigartige Aura der Verlassenheit schwebe über dem Ort, sodass selbst die Tauben und Schwalben das rauchgeschwärzte Dachgesims mieden. Um alle anderen Türme und Glockentürme enthüllte ihm sein Fernglas große Scharen von Vögeln, doch hier rasteten sie nie. Zumindest glaubte er das und hielt es auch in seinem Tagebuch fest. Er wies mehrere Freunde auf diesen Ort hin, aber keiner von ihnen war jemals auf dem Federal Hill gewesen oder hatte auch nur die leiseste Ahnung, was es mit der Kirche jetzt oder früher auf sich hatte.
    Im Frühjahr wurde Blake von einer tiefen Rastlosigkeit ergriffen. Er hatte die Arbeit an seinem lange geplanten Roman begonnen – das Werk sollte von dem vermeintlichen Überleben des Hexenwesens in Maine handeln –, kam aber sonderbarerweise dabei nicht weiter. Immer häufiger saß er an seinem nach Westen blickenden Fenster und spähte auf den fernen Hügel und den schwarzen bedrohlichen Kirchturm, der von den Vögeln gemieden wurde. Als in den Gärten zarte Blätter an den Ästen zum Vorschein kamen, wurde die Welt von neuer Schönheit erfüllt, doch Blakes Rastlosigkeit wuchs nur noch weiter an. Da überlegte er zum ersten Mal, die Stadt zu durchqueren und jenen sagenumwobenen Hügel in die rauchumkränzte Welt der Träume hinaufzusteigen.
    Ende April, kurz vor der äonenalten Walpurgisnacht, ging Blake auf seine erste Reise ins Unbekannte. Er trottete durch die endlosen Straßen der Innenstadt und über die kahlen, verfallenen Plätze dahinter, und endlich gelangte er auf jene ansteigende Allee mit ihren jahrhundertealten Stufen, windschiefen dorischen Portalen und Kuppeln mit trüben Fenstern, die, so fühlte er, hinauf in die ihm lang bekannte unerreichbare Welt jenseits der Nebel führen musste. Da gab es schmutzige blau-weiße Straßenschilder, die ihm nichts sagten, und alsbald bemerkte er die fremden dunklen Gesichter in der vorüberziehenden Menge und die ausländischen Schriftzeichen über merkwürdigen Läden in braunen, seit Jahrzehnten verwitterten Gebäuden. Nirgends konnte er eines der Objekte finden, die er von Weitem gesehen hatte, sodass er sich erneut halb einbildete, der ferne Federal Hill sei eine Traumwelt, die der Fuß eines lebenden Menschen nie betreten dürfe.
    Dann und wann zeigte sich eine mitgenommene Kirchenfassade oder ein baufälliger Turm, aber nie das geschwärzte Bauwerk, nach dem er suchte. Als er einen Ladenbesitzer nach einer großen steinernen Kirche fragte, lächelte der Mann und schüttelte den Kopf, obwohl er gut Englisch sprach. Als Blake höherstieg, schien die Gegend immer fremdartiger zu werden, und verwirrende Irrgärten düsterer brauner Gassen führten ewig weit gen Süden. Er überquerte zwei oder drei breite Straßen und glaubte einmal, einen vertrauten Turm zu erblicken. Wiederum fragte er einen Händler nach der massigen Steinkirche, und dieses Mal hätte er schwören können, dass die an den Tag gelegte Unkenntnis nur vorgetäuscht war. Das Gesicht des dunkelhäutigen Mannes zeigte einen Ausdruck der Furcht, die er zu verbergen suchte, und Blake sah, wie er mit der rechten Hand ein eigenartiges Zeichen machte.
    Dann erhob sich mit einem Mal zu seiner Linken ein schwarzer Spitzturm über den Reihen brauner Dächer, die die verworrenen südwärts führenden Gassen säumten. Blake wusste sogleich, worum es sich handelte, und stürzte über die verwahrlosten, ungepflasterten Gehwege, die von der Allee abzweigten, darauf zu. Zweimal verlief er sich, doch aus irgendeinem Grunde wagte er es nicht, die Patriarchen oder Hausfrauen zu fragen, die vor ihren Häusern saßen, oder eines der Kinder, die im Schlamm der schattigen Wege schrien und spielten.
    Endlich sah er den Turm deutlich im Südwesten; ein gewaltiger Steinhaufen erhob sich dunkel am Ende einer Gasse. Alsbald stand er auf einem windgepeitschten offenen Platz mit altmodischen Pflastersteinen und einer hohen Mauer auf der gegenüberliegenden Seite. Dies war das Ende seiner Suche; denn auf dem breiten, von einem Eisenzaun umgebenen, unkrautüberwucherten Plateau, das von der Mauer gestützt wurde – eine eigene kleine Welt, die sich fast zwei Meter über die umliegenden Straßen erhob –, stand ein düsterer riesenhafter Bau, über dessen Identität keinerlei Zweifel bestanden, obwohl ihn Blake nun aus einem neuen Blickwinkel

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