Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)
sah.
Die leer stehende Kirche war stark baufällig. Manche der hohen Steinbögen waren herabgestürzt, und mehrere fein gearbeitete Zierpfeiler lagen wie verloren inmitten des wuchernden braunen Unkrauts. Die vom Ruß geschwärzten gotischen Fenster waren größtenteils unversehrt, obwohl viele der steinernen Mittelpfosten fehlten. Blake fragte sich, warum die obskur bemalten Fensterscheiben so gut erhalten geblieben waren angesichts der bekannten Gewohnheiten kleiner Jungen überall in der Welt. Die massiven Türen waren intakt und fest verschlossen. Oben auf der Mauer, die das Gelände zur Gänze umschloss, verlief ein rostiger Eisenzaun, dessen Pforte – die sich am oberen Ende einer Treppenflucht befand, die vom Platz emporführte – sichtbar mit einem Vorhängeschloss gesichert war. Der Weg von der Pforte zum Gebäude war völlig zugewachsen. Verlassenheit und Verfall hingen wie ein Leichentuch über dem Ort, und angesichts der Simse, auf denen keine Vögel rasteten, und der schwarzen Mauern, an denen kein Efeu rankte, verspürte Blake einen vagen Hauch des Unheimlichen, den er nicht zu bestimmen vermochte.
Es befanden sich nur wenige Menschen auf dem Platz, aber Blake sah einen Polizisten am nördlichen Ende und näherte sich ihm, um dem Mann wegen der Kirche zu befragen. Es handelte sich um einen groß gewachsenen, kräftigen Iren, und es kam Blake sonderbar vor, dass er sich nur bekreuzigte und murmelte, dass die Leute nie über dieses Gebäude sprächen. Als Blake ihm zusetzte, sagte er sehr eilig, dass die italienischen Priester alle davor warnten und schworen, etwas ungeheuer Böses habe einstmals dort gehaust und sein Zeichen hinterlassen. Sein eigener Vater, der sich gewisser Geräusche und Gerüchte aus seiner Kindheit entsinne, habe ihm gegenüber düstere Andeutungen gemacht.
In der alten Zeit habe eine üble Sekte dort geherrscht – eine verbrecherische Sekte, die scheußliche Wesen aus unbekannten Abgründen der Nacht heraufbeschworen hatte. Man habe einen guten Priester gebraucht, um das zu exorzieren, was gekommen sei, obwohl manche Menschen glaubten, dass nur das Licht diese Macht besitze. Wäre Pater O’Malley noch am Leben, so gäbe es noch vieles zu erzählen. Doch nun bliebe nichts mehr zu tun, als es in Frieden zu lassen. Es schade jetzt niemandem mehr, und jene, die es beherrscht hatten, seien tot oder weit fort. Sie seien fortgelaufen wie die Ratten nach dem bedrohlichen Gerede im Jahre 1877, als den Leuten aufzufallen begann, dass in der Nachbarschaft dann und wann Menschen verschwanden. Eines Tages würde die Stadt einschreiten und das Grundstück wegen fehlender Erben für sich beanspruchen, doch käme wenig Gutes dabei heraus, wenn irgendjemand daran rührte. Besser sei es, die Kirche so lange in Frieden zu lassen, bis sie einstürze, auf dass man keine Wesen reize, die für immer im schwarzen Abgrund ruhen sollten.
Als der Polizist gegangen war, blieb Blake stehen und starrte das düstere Gebäude mit dem Turm an. Es erregte ihn, dass andere dieses Bauwerk genauso finster zu finden schienen wie er, und er fragte sich, welches Körnchen Wahrheit wohl in den alten Geschichten stecken mochte, von denen der alte Blaurock erzählt hatte. Vermutlich handelte es sich um bloße Legenden, die von der bösen Ausstrahlung des Ortes heraufbeschworen wurden, doch selbst dann schien es wie ein sonderbares Lebendigwerden einer seiner eigenen Erzählungen.
Die Nachmittagssonne trat hinter den sich zerstreuenden Wolken hervor, schien aber unfähig, die befleckten, vom Ruß geschwärzten Mauern des alten Tempels zu erhellen, die sich auf dem hohen Plateau erhoben. Eigenartig war, dass das Grün des Frühlings das braune, welke Kraut in dem erhöhten, vom Eisenzaun umgebenen Hof nicht berührt hatte. Blake schlich immer näher an die Anhöhe heran und untersuchte die Mauer und den rostigen Zaun nach einem Schlupfloch. Der geschwärzte Tempel war schrecklich verlockend, und Blake vermochte dem nicht zu widerstehen. In der Nähe der Treppe hatte der Zaun keine Lücke, doch zur nördlichen Seite hin fehlten einige Streben. Er könnte die Stufen hinaufsteigen und auf der schmalen Mauerkrone vor dem Zaun entlanggehen, bis er an die Lücke gelangte. Wenn die Menschen diesen Ort so sehr fürchteten, würde er mit keiner Störung rechnen müssen.
Er war auf der Mauer und schon fast jenseits des Zaunes, ehe jemand sein Tun bemerkte. Als er dann hinabspähte, sah er, wie einige wenige Leute auf dem
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