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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Liu
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meines Blickfelds, wie er an den Regalen zusammensackte. Er starrte uns beide mit unverhohlener Furcht an.
    »Jack«, flüsterte ich.
    »Ich brauche was zu trinken«, antwortete er.
    »Jack«, sagte ich noch einmal, als die Jungs unter meiner Haut vor Wut zitterten. Es fühlte sich wie ein leichtes Erdbeben oder das Schaben von Sandpapier an.

    Dann hörte ich ein Schlurfen, das von draußen kam. Jacks Kopf fuhr herum. Mary glitt zur Tür, mit angespannten Muskeln, zum Kampf bereit. Rex griff unwillkürlich nach seiner Knarre.
    Die Tür öffnete sich.
    Auf der anderen Seite stand die Botin.
    Die Zeit verlangsamte sich. Ich beobachtete sie. Sie beobachtete mich. Ihre kleinen Augen schimmerten im Kellerlicht golden. Viele Details verrieten, dass sie eine Außerirdische war. Ihr Hals war zu lang, ihre Augen zu klein, ihre Wangen ein bisschen zu scharf geschnitten und auch zu fein. Man hätte sie für einen Menschen halten können, aber nicht so ohne weiteres. Mütter hätten ihre Kinder vielleicht vor ihr versteckt. Ich hätte das jedenfalls getan. Und nicht wegen der Struktur ihrer Knochen. Sie strahlte ein Anderssein aus, das nicht einfach nur unheimlich war, sondern so kalt, distanziert und bedrohlich wirkte, wie ein Raubtier bedrohlich wirken kann: in seiner Ruhe, seiner Geduld und in den Versprechungen, die es macht.
    So viele Versprechungen.
    Sie war nicht allein. Hinter ihr im Schatten erkannte ich zwei Männer und eine Frau: keine Zombies, nur Menschen. In Jeans, einem Businessanzug und einem Jogging-Outfit. In ihren Augen war keinerlei Leben, und ihre Münder wirkten schlaff.
    »Du kannst dich nirgendwo vor mir verstecken«, sagte sie leise, während ihre Stimme vor Macht vibrierte. »Denn ich bin die Hand, das Licht, und ich bin die Gerechtigkeit, unermüdlich, im Namen unserer Aetar-Meister. Gelobt sei ihr Licht.«
    Grant stellte sich vor mich. Ich wollte ihm den Weg absperren, aber Jack war noch schneller und schoss blitzschnell an uns
vorbei. Schlank, mit jugendlichem Körper und doch so alt wie ein Stern.
    Die Botin hatte sich auf Grant und mich konzentriert, aber als sie Jack sah, erschauderte sie. Hier hatte sie ihn nicht erwartet, so viel stand fest. Das Amulett hatte funktioniert.
    Ihr Schaudern verebbte zu einem Zittern, ihr Augenlid zuckte, dann brach sie zusammen. Ihre Knie schlugen so heftig auf den Boden auf, dass ich Knochen brechen hörte. Dann blieb sie vollkommen regungslos liegen.
    »Schöpfer«, sagte sie. »Gelobt sei dein Licht.«
    »Nein«, entgegnete Jack. »Lass das. Hör damit auf! «
    Zuerst dachte ich, er forderte sie auf, ihn nicht anzubeten. Und vielleicht war es einen Augenblick lang auch so. Aber die Botin hob den Kopf wieder, betrachtete Grant und sah dann an ihm vorbei zu mir herüber.
    »Du wirst ihn nicht noch einmal schänden«, sagte sie und griff Jack am Arm. Ich war schon in Bewegung, aber zwei Sekunden können eine Ewigkeit bedeuten. Zwei Sekunden konnten es nicht mit der Geschwindigkeit eines Gedankens aufnehmen.
    Jacks Augen weiteten sich. Ich griff zu …
    Und sie verschwanden. Zusammen mit den drei Menschen. Ich taumelte auf die Stelle zu, an der Jack gerade eben noch gestanden hatte, und die Luft des Raums füllte knallend das Vakuum, das vor kurzem noch fünf Menschen eingenommen hatten.
    Ich fiel auf die Knie. Rammte meine Fäuste in den Boden. Der Zement zerbrach, und Stücke flogen durch die Luft. Grant fasste mich an der Schulter. Ich versuchte gar nicht erst, ihn abzuschütteln. Stattdessen starrte ich auf die Rüstung.
    Bitte , dachte ich, jetzt muss es geschehen .

    Die Rüstung pulsierte einmal. Ich stellte mir vor, dass eine Stimme antwortete: »Ja, es wird geschehen.«
    Aber dann … nichts. Mein Blickfeld sackte seitlich weg, und mir wurde schwarz vor Augen. Auf meiner Haut pulsierten Herzschläge. Ich fühlte die kalte Leere in mir, und gerade als ich dachte, ich sei schon zu lange und zu weit fort für diese Seele, da kam ich wieder zu mir.
    Es war helllichter Tag, der Himmel war silbergrau, der Nebel kroch über den Boden, und es nieselte. Ich konnte meinen Atem sehen, konnte Pflanzen riechen. Über der mächtigen Baumkrone, halb hinter Wolken verborgen, erhoben sich die zerklüfteten Felsen eines schneebedeckten Berges.
    Schwerer Atem. Ein dumpfer Schmerzenslaut. Grant hockte neben mir auf seinen Knien. Er umklammerte seinen Stock so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Die Unterlippe blutete. Vielleicht hatte er sie zerbissen. Er war sehr

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