Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
Kleid schneidern ließ. »Ich selbst kann Gelb ja nicht tragen, aber diese Farbe eignet sich hervorragend für Mädchen mit mausbraunem Haar wie deinem«, hatte sie gesagt.
Dagegen genoss Tessa das Gefühl der Bürste, die durch ihre Haare glitt - es erinnerte sie an ihre Kindheit, als Tante Harriet ihr immer die Haare gekämmt hatte. Die gleichmäßigen Bürstenstriche übten eine derart beruhigende Wirkung auf sie aus, dass sie leicht zusammenzuckte, als Sophie sich an sie wandte: »Ist es Ihnen gestern Abend noch gelungen, Mr Herondale davon zu überzeugen, seine Medizin einzunehmen, Miss?«
»Oh, ich ...« Tessa versuchte hastig, sich zu fangen, doch es war bereits zu spät: Heiße Röte schoss ihr in die Wangen. »Er wollte zuerst nicht«, murmelte sie lahm, »aber letztendlich habe ich ihn doch überreden können.«
»Verstehe.« Sophie verzog keine Miene; sie erhöhte lediglich das Tempo ihrer rhythmischen Bürstenstriche. »Ich weiß, dass es sich für mich nicht geziemt, etwas zu sagen, aber ...«
»Sophie, du kannst mir alles sagen, was du willst, wirklich.«
»Es ist nur so ...«, setzte das Dienstmädchen zögernd an und stieß dann in einem Schwall hervor: »Mr Herondale ist niemand, um den Sie sich sorgen sollten, Miss Tessa. Jedenfalls nicht auf diese Weise. Man kann ihm nicht vertrauen oder sich auf ihn verlassen. Er ... er ist nicht so, wie Sie denken.«
Tessa verschränkte die Hände im Schoß. Sie fühlte sich ein wenig unbehaglich - war es wirklich schon so weit gekommen, dass sie vor Will gewarnt werden musste? Andererseits gefiel es ihr, jemanden zu haben, mit dem sie über ihn reden konnte. Irgendwie kam sie sich wie eine Verhungernde vor, der man ein Stück Brot anbot. »Ich bin mir nicht sicher, was ich von ihm denke, Sophie. Manchmal verhält er sich auf eine bestimmte Weise und kurz darauf wieder vollkommen anders, wie eine Fahne im Wind. Und ich verstehe dann nicht, wieso oder was passiert ist ...«
»Nichts ... es ist nichts passiert. Er interessiert sich einfach für niemanden außer für sich selbst.«
»Jem bedeutet ihm etwas«, erwiderte Tessa ruhig.
Die Hand mit der Bürste hielt mitten in der Bewegung inne und Sophie stand einen Moment reglos da. Sie wollte irgendetwas sagen, spürte Tessa, ihr irgendetwas mitteilen, rang jedoch mit sich selbst. Nur worum konnte es sich dabei handeln?
Dann setzten die Bürstenstriche wieder ein. »Das genügt aber nicht«, murrte Sophie schroff.
»Du meinst, ich sollte mir nicht das Herz beschweren lassen von einem Jungen, dem ich nie etwas bedeuten werde ...«
»Nein!«, widersprach Sophie heftig. »Denn es gibt viel Schlimmeres als das. Es ist rechtens, jemanden zu lieben, der diese Liebe nicht erwidert - sofern derjenige es auch wert ist, dass man ihn liebt. Sofern er es verdient, geliebt zu werden.«
Die Leidenschaft in Sophies Stimme überraschte Tessa. Sie drehte sich um und sah das andere Mädchen direkt an. »Sophie, gibt es da jemanden, der dir etwas bedeutet? Ist es Thomas?«
Sophie schaute erstaunt auf. »Thomas? Nein. Wie kommen Sie denn auf die Idee?«
»Nun ja, ich glaube nämlich, dass du ihm etwas bedeutest«, erklärte Tessa. »Ich habe gesehen, wie er dich anschaut. Er lässt dich keine Sekunde aus den Augen, wenn du im Raum bist. Und da habe ich gedacht ...« Sie verstummte, als sie Sophies entgeisterten Blick bemerkte.
»Thomas?«, wiederholte Sophie. »Nein, das kann gar nicht sein. Ich bin mir sicher, dass er mir keine derartigen Gefühle entgegenbringt.«
Tessa unternahm nicht den Versuch, ihr zu widersprechen. Welche Gefühle Thomas auch immer hegen mochte, Sophie erwiderte sie ganz eindeutig nicht. Dann blieb nur noch ... »Will?«, fragte Tessa. »Wolltest du damit sagen, dass Will dir einst etwas bedeutet hat?« Was die Verbitterung und Abneigung erklären würde ... in Anbetracht der Tatsache, wie Will Mädchen behandelte, die sich für ihn interessierten, überlegte sie.
»Will?« Nun klang Sophie aufrichtig entsetzt - entsetzt genug, um zu vergessen, ihn Mr Herondale zu nennen. »Fragen Sie mich ernsthaft, ob ich einmal in ihn verliebt gewesen bin?«
»Nun ja, ich dachte ... ich meine, er ist doch furchtbar attraktiv ...« Tessa erkannte, dass sie wenig überzeugend klang.
»Es gehört mehr dazu, liebenswert zu sein - mehr als nur ein attraktives Äußeres«, hielt Sophie aufgebracht entgegen und vor Aufregung brach ihr alter Akzent durch: »Mein letzter Dienstherr ... der war ständig auf
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